Ach ja, Die Linke. Und ihr Parteitag in der Kulturhauptstadt Chemnitz. Ich habe mir lang den Livestream angeschaut von dem, was sich da tat. In den Reihen der Delegierten. Und auf der Bühne. Das war, sachte formuliert, zumindest ambivalent. Auf der Bühne eine Mixtur aus Show-Elementen und spießigem Parolieren. An den Tischen der Delegierten eine Mischung aus aufkommender Zuversichtsfreude und mürrischen Dogma-Faces. Draußen, so war in einem Bericht der taz zu lesen, herrschte ebenfalls nicht durchweg die Stimmung, die man sich nach dem Ergebnis bei der Bundestagswahl ausmalte. Ich schrieb es schon neulich hier: Irgendwie scheint es für Die Linke nicht leicht, einen guten Weg zu finden. Schon gar einen Weg, auf den sich möglichst Viele machen.
Die Partei hat es in vielerlei Hinsicht schwerer, als es ihre derzeitigen Umfrageergebnisse, die bei 10% liegen, hoffen lassen. Zum Einen, auch das sah man, müssen Generationen überbrückt werden. Die auch das Denken und damit die Atmosphäre auf dem Parteitag unterschiedlich prägten. Zum Anderen ist es in diesen Zeiten nicht so leicht, sich inhaltlich so aufzustellen, dass linke Konturen klar und unverrückbar erkenntlich sind. Und zugleich attraktiv für jene, die sich langsam damit vertraut machen wollen, in dieser Partei aktiv zu sein. Auch wenn da bisweilen Meinungen auseinandergehen über das, was an Gegenpolen zur etablierten Politik notwendig ist. Welches die Schwerpunkte sein müssen. Und ob man gleich zu allem Stellung beziehen will oder gar soll.
Wie haarig das sein kann, zeigte sich an der Frage, wie man zu Israel und Antisemitismus steht. Der Parteichef Jan van Aken erkannte die Sprengkraft des Themas, als er davor warnte, mit einem Beschluss, der die Jerusalemer Erklärung als Maßstab für Antisemitismus-Beurteilung nimmt, eine wissenschaftliche Debatte um Antisemitismus zu beenden, das können wir nicht tun. Der Parteitag tat es, mit knapper Mehrheit. Diskutiert wurde kaum. Die öffentlichen Reflexe ließen nicht auf sich warten. Ein Skandal, der Tenor. Öffne die Jerusalemer Erklärung israelbezogenem Antisemitismus über Kritik an der Politik Israels doch Tür und Tor. Darüber streiten sich freilich auch jüdische Geister. Ein schwelender Streit, den van Aken nicht einfach per Antrag aus der Welt schaffen wollte.
Stefan Reinecke schreibt in der taz, dass nicht die Positionierung auf dem Parteitag skandalös sei, sondern die hasenfüßige deutsche Politik, die einer Verurteilung des israelischen Vorgehens gegen Palästinenser mit der Rückdeckung des Zentralrats der Juden aus dem Wege gehe. Die Frage stellt sich gleichwohl, ob das Thema geeignet ist, es wie einen Einkaufszettel abzuhaken. Oder ob es nicht, angelehnt an Margot Friedländer, besser gewesen wäre, die universellen Menschenrechte geltend zu machen, ohne die Hakelei um den Antisemitismus-Begriff zu füttern. Dass Linke der Verstorbenen nachwerfen, sie habe sich nicht klar gegen Israel positioniert, hätte es naheliegend gemacht, gerade ihren Weg einzuschlagen, statt verlogenen Israelfreunden Angriffsfläche zu bieten.
Der Spagat, als linke Partei auf möglichst vielen Politikfeldern Stellung zu beziehen, dabei zugleich zu Ende gedacht und unverrückbar zu erscheinen, kann einerseits ein umfassendes Bild bieten. Andererseits aber Gefahr laufen, notwendige Perspektiven zu verwischen. Es hätte auf diesem Parteitag und angesichts des Stapellaufs der schwarz-roten Koalition, genügt, sich auf drei Felder zu beschränken: Sozialpolitik, Migrationskurs, Friedenspolitik. Hier ein Dach zu bieten, für alte Parteiengagierte, Neulinge und Neugierige ohne Mitgliedsbuch wäre Herausforderung genug. Und würde Die Linke ausreichend attraktiv machen, als Partei, als Kern für eine außerparlamentarische Bewegung, die es dringend braucht. Und um den sich viele Progressive scharen könnten.
Auch was die, so nenne ich es mal: parteikulturelle Seite betrifft, steht Die Linke noch vor unbewältigten Herausforderungen. Und auch hier trat und tritt größere Ambivalenz zu Tage. Die als Zeichen der Vielfalt begriffen werden kann – oder als Zeichen eines noch eher unglücklichen Prozesses der Selbstfindung. Heidi Rechinnek zeigte sich rede- und gestenreich auf der Bühne, als treibende Powerfrau mit Freude am Aufbruch. Der Auftritt ihres Co-Fraktionschefs Sören Hellmann schwankte performancemäßig dagegen zwischen Junger Union und K-Gruppen-Zeiten. Man kann nicht sein, wer man nicht ist. Wirkte am Ende wie: puhhh, ich hab’s hinter mir. Das schien auch das Plenum zu denken. Junge Menschen anlocken, alte bei der Stange halten geht anders.
Bilanz: Es gibt noch eine Menge zu tun. Packen wir’s an. Das war denn auch im Kern das, was so etwas wie Aufbruch kennzeichnete. Dass man sich auf die Reise machen will, aber noch beim Packen sei. Dass man den Schwung der Umfragen mitnehmen will, ohne aber beim Tempomachen die Navi aus dem Auge zu verlieren. Das hat mit Blick aufs sozialpolitische Programm geklappt, beim Kurs in Sachen Rüstung und Frieden (einschließlich Russland und Ukraine) zumindest einigermaßen. In anderen Fragen könnte die Partei gut beraten sein, gelegentlich auf ihren Vorsitzenden Jan van Aken zu hören. Etwa beim Thema Antisemitismus. Den Sturm, auch in den eigenen Reihen, hätte man abwenden und zugleich eine glasklare Haltung zeigen können.

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