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Erkennungs-ID Reichinnek Frise

Schätzungweise 13 oder 14 Jahre alt war ich, als mir ein Typ in der Abi-Klasse auffiel. Er trug stets grünen Parka und roten Rolli. Aber das war es nicht, warum ich so sein wollte wie er. Warum ich so sein wollte wie er, das war, weil er lange schwarze Haare trug und einem I***, namentlich W***, verdammt ähnlich sah. Und wir alle irgend I*** sein wollten, weniger Old Shatterhand. Cowboys, das waren unsere Väter, die Spießer, auch wenn sie es noch so gut meinten. Wir wollten Apachen sein, die sich einerseits gegen das Böse aufs Pferd schwangen, andererseits Friedenspfeife rauchten. Und sie maximal mit Kerlen wie Shatterhand teilten. Die sich, weil sie ahnten, auf welchem Pfad sie sich verlaufen könnten, Verbündete suchten. Und deswegen mit den I*** gemeinsame Sache machen wollten.

Damals waren Vorwürfe der kulturellen Aneignung noch kein Thema. Es waren uns alle lieb und es war uns alles recht, was uns das Gefühl gab, auf der richtigen Seite zu stehen. Es war die Zeit der Mao-Bibel und des kleinen roten Schülerbuchs. Wie Mao konnten wir Greenhorns der Revolution mit noch so viel Mühe nicht herhalten. Seine Kleidung allerdings trugen manche. Die meisten orientierten sich freilich im Outfit eher an Che Guevara. Er schien uns, die wir aus dem Lager der Apachen ins Kommunisten-Lager aufschließen wollten, die geeignetere Identifikationsfigur. Und das Bolivianische Tagebuch die wildere und zugleich romantischere Begleitmusik stürmischen Dasein. Der Typ in der Abi-Klasse hatte was von W*** und zugleich was von Che. Welch ganz und gar glückliche Fügung!

Weshalb ich das schreibe? Nun, zum Einen, weil ich nicht ohne weiteres Gegner dessen bin, was mit dem Begriff der kulturellen Aneignung ganz kurz vor dem Marterpfahl halt macht. Mir will es nicht in den Sinn kommen, warum, was früher in vielerlei Hinsicht unter dem Etikett der Solidarität lief, nun plötzlich das Gegenteil, nämlich Herabwürdigung bedeuten soll. Denn auch die W***-Haarpracht, die so genannte Weltmusik, die Bibeln der Kapitalismus-Feinde liefen – wo immer sie ihren Ursprung hatten – unter der Fahne grenzenloser Aufmüpfigkeit und revolutionärer Einheit über Ethnien und Nationalismen hinweg. Wir alle waren W***, Mao, Che Guevara. Und hieß es nicht eben gerade erst Nous sommes Charlie Hebdo? Sind wir nicht alle Karikaturisten oder fürs Gute kämpfende Karikaturen?

Lange Rede, kurzer Sinn: Auch Die Linke weiß, an diese mehr oder weniger streitbare Geschichte der Solidarität respektive vieldislutierter Aneignung anzuknüpfen. So entdeckte ich dieser Tage im Berliner Tagesspiegel ein Bild von Heidi Reichinnek. Es zeigte sie als neugewählte Berliner Landesvorsitzende der Partei. Moment Mal! Ist Reichinnek nicht Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag? Als ich genauer hinschaute, sah ich: Es war gar nicht Heidi Reichinnek, sondern Kerstin Wolter. Hatte ich die aber nicht ganz anders in Erinnerung? Mit langem Haar zwar, aber Seitenscheitel? Nun trägt sie Ponny and Smile. Und ist der Heidi wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hat geschafft, was ich ehedem nicht schaffte: So auszusehen wie das ohne Unterlass umschwärmte Vorbild. Alle Achtung!

Das meine ich, so sehr man mir das unterstellen möge, gar nicht despektierlich. Denn anders als andere bin ich für eine gewisse Art der Aneignung durchaus empfänglich. Dann, wenn damit auch gewisse Ideale verbunden sind. Davon kann man bei Kerstin Wolter ausgehen. Aber auch bei denen, die I*** wie W*** sein wollen. Oder Revoluzzer wie Che. Ich bin, das darf ich sagen, ein feuriger Befürworter von Aneignung, wenn sie mit der Aneignung menschlicher und menschenwürdiger Werte einhergeht. Pathetischer will ich gar nicht werden. Wenn man, wie Die Linke weiß und die Linken untereinander wissen, wo der Hammer hängt. Solange ich mir nicht die Tolle von Donald Trump zulege, ist alles in Ordnung – er ist das glatte Gegenstück zu Old Shatterhand, dem Freund von W***. Von W*** sowieso.

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