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Talkkultur und AfD

Ex-ARD-Polittalkerin Anne Will macht sich dieser Tage Gedanken, was sie ehedem in ihrer Sonntagsabend-Runde hätte anders machen sollen. Zum Beispiel nicht aufhören, auch Vertreter der AfD in ihre Sendung zu bitten. Man habe, so sagte sie kress.de, Ende 2023 Politiker:innen der rechtsextremen Partei nicht mehr eingeladen, weil man gewusst habe, man höre mit dem Format Anne Will bald auf. Journalistisch gesehen sei das „gar nicht mehr richtig begründebar“ gewesen. An Wahlabenden etwa, an denen die AfD „erstaunliche Erfolge gefeiert“ habe. Dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens habe das aber nicht entsprochen, so Anne Will, die heute einen eigenen Podcast pflegt. Titel: Politik mit Anne Will. Dort finde, weil nicht mehr an Staatsverträge gebunden, die AfD keinen Platz.

Inzwischen freilich, so Anne Will, habe sich die Lage durch die Einstufung der AfD als rechtsextremistisch, wogegen die Partei von Höcke & Weidel juristisch vorgeht, geändert. Weswegen das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Einstufung erstmal auf Eis gelegt hat. Da müsse man sich „genau überlegen“, ob man die AfD einlädt, zumindest zu welchen Themen. Zur Verfassungsschutz-Einstufung eher nicht (weil befangen, d. Autor), zur Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik ja. Zusammengefasst und bewertet, scheint es mir weiter ein Eiertanz zu sein. Ein Tanz, an dessen Ende einer klaren Position ausgewichen wird. Der Wahl-Erfolg der AfD macht die Sache auch weiter schwierig. Das Wahl- und Zuschauervolk soll nicht verprellt werden, die AfD nicht Futter bekommen.

Die Diskussion darüber, ob man mit Ignoranz oder Ausschluss von Rechten und Rechtspopulisten, zumal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (oder Rundfunk, oder online), Parteien wie die AfD eher stärkt oder ob man damit ein Zeichen zum Schutz der Demokratie setzt, ist so alt, wie das rechte Lager relevant ist. Und sie wird, das lässt sich realistisch absehen, keinen endgültigen Abschluss finden. Ich spreche da aus Erfahrung. Die umfasst auch Diskussionen, ob den im ÖR Haltung zeigen erlaubt ist. Nein, meinte ein Kollege einmal. Meine Antwort: Auch keine Haltung zu zeigen, indem man jeden Blödsinn transportiert, sei eine Haltung. Dabei bleibe ich. Schon insofern gehen Debatte darüber ins Unendliche. In jedem Fall ist argumentative Einbettung und Transparenz hilfreich.

Ich selbst bin der Auffassung, der AfD zwar keinen strikten Riegel vorzuschieben. Bei all den erschreckenden Umfragewerten für die Partei, hinter denen ebenso erschreckende, zumindest anfällige Volksseelen stecken, muss man das rechte Lager stellen. Wichtig scheint mir, dass der Ton der Auseiandersetzungen, auch in den Talkrunden der ÖR nicht der Ton ist, mit dem man Vertretern demokratischer Parteien begegnet. Ein Grundton, der konzidiert, dass hier Demokraten über Politik diskutieren. Der Ton darf, nur keine Scheu, durchaus kongruent zur faschistoiden Gesinnung der AfD gewählt werden. Dass sie über 20 Prozent bekommt, ist nicht Grund zu Rücksichtnahme, sondern Grund, sie wo auch immer in aller Schärfe zu stellen: Als Anti-Demokraten, die sie sind!

Mir ist schleierhaft wie Ängste, dies könnte gegen einen verwendet werden, immer wieder zu journalistischer Hasenfüßigkeit führen. Anne Will hat ohne Zweifel Recht, wenn sie darauf verweist, dass es Staatsverträge gibt, die die Aufgaben der ÖR umreißen. Vor allem freilich tritt da die Aufgabe hervor, der Demokratie Dienste zu erweisen, aber nicht Bärendienste. Ich habe keine Ahnung, woher es kommt, dass man einerseits auf die Verantwortung verweist, die Demokratie und den Rechtsstaat zu schützen, wenn man dann keine Verantwortung übernimmt oder zu übernehmen in der Lage scheint. Wenn es brenzlig wird und es gerade zählen würde, hier seiner Aufgabe gerecht zu werden, sucht man schnell nach jemandem, der dies stellvertretend tun mag. Wie feige!

Auftrag des ÖR ist es, unsere Demokratie zu schützen – und in diesem Sinne auch mitzuhelfen, mündige Bürger noch mündiger zu machen, und dumme schlauer. Wenn einem aber selbst die Mündigkeit fehlt, unter anderem die, die dazu befähigt, in weiser und demokratischer Verantwortung zu handeln, wird der sprichwörtliche Bock zum Gärtner gemacht. Will man der Bock sein, der am Ende alles verbockt? Oder will man den Garten der Demokratie im ÖR pflegen? Wenn ja, dann muss man sich auch trauen. Nicht den Faschisten das Gefühl zu geben, sie seien eine Partei wie jede andere, was bisweilen als Standardentschuldigung für läppisches Talkshow-Sprech genommen wurde/wird. Sondern sie sich demokratiefördern vorzuknöpfen! Und ihnen die Tarnkappen vom Kopf zu reißen.

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