So schnell geht das nicht nur in den USA unter Präsident Donald Trump, so schnell geht es auch in Deutschland unter Innenminister Alexander Dobrindt (CSU): Gerichtsurteile werden, weil es der Bundesregierung nicht in den Kram passt, kurzerhand ignoriert. So geschehen im Fall der Zurückweisung dreier somalischer Asylsuchender an der deutsch-polnischen Grenze. Gegen den Kern des so genannten Dublin-Abkommens, begründet mit einer angeblichen Notlage, in der man sich befinde (ähnlich der Notlagen-Argumentation, die schon während der Corona-Pandemie eine Rolle spielte). Die Kommunen seien unverhältnismäßig überlastet. Kritik am Vorgehen wird abgewettert. Außerdem sei dies zunächst eine Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. Es zähle das Hauptverfahren.
Von Anfang an war der Kurs der Union, allen voran von Bundeskanzler Friedrich Merz, umstritten, die Migrationspolitik am geltenden EU-Recht vorbei zu verschärfen. Das besagt, dass das Dublin-Verfahren gilt, wonach bei Asylersuchen auf deutschem Gebiet auch dort die Frage der Zurückweisung in sichere Drittstaaten geklärt werden muss. Und Asylsuchende, wie die drei Somalier nicht einfach ohne ein solches Verfahren aus dem Land verwiesen werden können. Das Verfahren sei nicht eingehalten worden, so das Gericht. Die Zurückweisung der Somalier somit nicht rechtens. Ein Einzelfall, so in ersten Reaktionen die Bundesregierung, der genauerer Betrachtung bedürfe. Insgesamt werde man an der Zuückweisungspraxis festhalten. Trump-Sprech!
Nicht nur aus der SPD kommen Zweifel. Führende Migrationsforscher vor allem denken, dass die Bundesregierung sich hier auf einem Pfad bewege, der ihr, solange das gegenwärtige EU-Recht bestehe, noch eine Menge juristischen Ärger bringen werde. So sehr sie auch darauf besteht, beim deutschen Kurs in Sachen Migration die Schrauben anzuziehen. Der Migrationsrechtsexperte Winfried Kluth etwa sagt, dass sich die Entscheidung des Berliner Gerichts exakt auf der Linie der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs befinde. Andere gehen davon aus, dass sich, sollte die Bundesregierung ihren Kurs weiter durchziehen, ein Fall an den anderen reihen werde. Bis hinauf in die höchsten europäischen Justiz-Etagen. Und Berlin das Nachsehen hat.
Doch Union und konservative Kommentatoren, etwa der FAZ, fühlen sich dazu angespornt, den restriktiven Weg weiter anzufeuern. Reinhard Müller in der FAZ meint: „Kein Verwaltungsgericht bestimmt im Eilverfahren die Regierungspolitik“. Die Zurückweisung der Somalier habe somit gar nicht für rechtswidrig erklärt werden können und einer Entscheidung in der Sache vorgegriffen. Auch darüber, ob quasi Gefahr im Verzug ist, wenn man den Fall der Asylsuchenden in einem ordentlichen Verfahren klärt. Und so rettet sich der Kommentator, dem offenbar der Schaum vorm Mund steht, in die Ansicht, dass das Gericht festgestellt habe, dass es keinen Anspruch auf Einreise nach Deutschland besteht, wohl aber auf das Dublin-Verfahren.
Insofern, so schlussfolgert Reinhard Müller, müsse „weiterhin ernst gemacht werden mit dem übergeordneten Ziel“. Dass nämlich derlei Verfahren sich nicht im Zweifel in die Länge zögen. Sondern dass die Rechtslage wenn möglich „an die Wirklichkeit“ angepasst werde. Notfalls auf deutschen Druck. So ist erkennbar – auch an Reaktionen aus der Union: Was gestern Konsens unter den EU-Mitgliedsstaaten war, ist heute allenfalls dazu gut, ausgehebelt zu werden. Je nach Belieben, wie es Autokrat Trump in den Vereinigten Staaten vorturnt. Will heißen: Wenn Recht dem politischen Willen im Wege steht, wird es halt auf politischen Umwegen nach Gusto gebeugt.
Das Ganze – und Bundeskanzler Merz steht da Innenminister Dobrindt in voller Größe bei – erinnert in seinem Wesen eher dem, was man an juristischen Ausfallschritten in Ungarn betrachten kann, als einem rechtsstaatlich einwandfreien Vorgehen. Im Grunde eher ein Fall für europäische Maßnahmen aus der Brüsseler EU-Zentrale, als ein Fall für juristische Spielchen, wie sie die Bundesregierung betreibt. Und zwar, noch, ohne auffallenden Widerstand des sozialdemokratischen Koalitionspartners. Der müsste sich eigentlich in seinem Pochen auf europäische Prinzipien auf die Hinterbeine stellen. Tut er aber nicht. Die SPD macht sich mitschuldig. In dem sie offenbar bereit ist, ein Kernanliegen hochgehaltener Menschlichkeit dem Machtkalkül zu opfern.
Was man abschließend sagen kann: Die Union betreibt haargenau die Politik, die sie vor der Bundestagswahl Ende Februar demonstriert hat: Sie zeigt, dass ihr Wille, Migration zu begrenzen, eben keine Grenzen kennt. War es vor der Wahl die Grenze zur Inkaufnahme von AfD-Unterstützung, die überschritten wurde, ist es nun die Grenze, die derzeit noch geltendes europäisches Recht setzt, die – wie angekündigt – eingerissen wird. Also nur die Fortsetzung dessen, was SPD und Grüne im Februar empört hat. Und das wird, davon kann man ausgehen, nicht das letzte Mal sein. Insofern scheint ihr eine Zustimmung der Rechten zu ihrem Kurs lieber, als der Blick darauf, wie man der SPD diesen Kurs erklärt. Wenn sie denn je eine Erklärung haben will.

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