Bald ist SPD-Parteitag. Und er wird aufgemischt. Prima, sag ich da mal! Das Manifest von Genossinnen und Genossen rüttelt den Sozi-Laden mitsamt seinem Chef Lars Klingbeil und seinen Regierungskohorten durch. Und, so die Traditionalisten Erfolg haben, wach. Die Unkenrufer auf der Tribüne, die das Manifest als naive Proklamation sehen, blind gegenüber dem ungebremsten Kriegswahn des russischen Präsidenten Wladimir Putin, friedensrührselig und bar jeder Einsicht in die Realitäten, stehen bereit, wie gerufen. Unbezahlte, aber deswegen nicht weniger lautstarke Claqueure schwarz-roter Rhetorik a la Boris Pistorius. Die den Manifestlern eine gewisse Altersdummheit vorwerfen. Dabei ist gar nicht ausgemacht, auf welcher Seite die Dummheit ihr komfortables Zuhause hat.
Das Manifest richtet sich gegen die Aufrüstungspläne in Deutschland. Hält das Fünf-Prozent-Ziel in Sachen Rüstungsausgaben für inakzeptabel. Fordert eine Rückkehr zu einer „stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung“ in Europa. Die Abkehr von einer Strategie der Eskalation. Hin zu einer Mixtur aus Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik, gepaart mit einem Willen zur Verständigung, auch mit Russland. Will keine Stationierung neuer US-amerikanischer Mittelstreckenraketen. Alles andere, so die teils prominenten Unterzeichner, führe in die Irre und bringe der Ukraine keinen Frieden. Die SPD müsse aber Teil einer Friedens- und nicht einer Kriegsbewegung sein. Von den Kritikern: Häme auf ganzer Linie, wie von Lars Klingbeil bei Lieferando bestellt.
Und von den Medien nahezu unisono zustimmend orchestriert. Olle Recken hätten sich da aus den SPD-Nischen gewagt. Verfechter einer verstaubten Agenda. Putin-Deppen. Haben die nicht mitgekriegt, wie der Kreml-Boss sich einen Scheißdreck um Friedensapologeten schert? Doch. Aber sie haben auch kapiert, dass auch bei den Bellizisten etwas nicht im Oberstübchen stimmt. Nämlich, dass die selbst das tun, was sie den Autoren des Manifests vorwerfen: Sich zum Büttel Putins machen. Der hält in der Tat derzeit nix von Friedensschwurbeleien. Er freut sich aber zugleich, dass sich der Westen wie verrückt an gegen ihn gerichtete Drohgebärden abarbeitet und Milliarden verfeuert. Will heißen: Wenn es Dumme gibt, dann in allen Lagern. Also mindestens ein Patt!
Wenn wir ehrlich sind, dann beruht aller Aufrüstungsfrohsinn – unter Applaus von Rheinmetall & Co – auf Spekulationen. Dass der Krieg zwischen Russland und Ukraine (mit nach wie vor unklarer westlicher Hilfe) doch noch zum Einknicken Putins führt. Dass er dann an den Friedenstisch findet. Dass das umso eher passiert, je größer das europäische Waffenarsenal daherkommt. Dass Europa für den Fall, sollte das nicht passieren, zugleich bereit ist für Abschreckung und Gegenwehr. Auch ohne US-Amerikaner. Dass man also gewappnet ist, falls ein Frieden nicht kommt und Russland auf Berlin vorrückt. Dass sich demnach die Milliarden lohnen, die man in freilich wenig belastbare Szenarien steckt. Auch wenn sie anderswo schmerzlich fehlen.
Und wenn wir ehrlich sind, dann beruht aller Friedensruck, der durch linke SPD-Reihen geht, ebenfalls auf ungesicherten Hypotheken. Reden kann man, soll man. Aber was, wenn es Russland weiter einen feuchten Kehricht schert? Auch dort weiter die Bellizisten das größte Maul haben? Auch die, die der Diplomatie Vorrang geben, stehen ja auf dem Schlauch, wenn man sie fragt, woher sie das Wasser auf ihre Mühlen nehmen. Ihnen deswegen aber aus den Rüstungsräumen eine eben solch große Ernsthaftigkeit abzusprechen, sie für Idioten zu halten, während man selbst auf drängendste Fragen Antworten schuldig bleibt, dazu gehört schon eine mega Portion durch nichts gefütterter Selbstherrlichkeit. Die freilich grad eine jämmerliche Konjunktur hat.
Im Grunde ist derzeit nirgendwo ein auch nur halbwegs Frieden schaffender Ansatz in Sicht. Die Frage stellt sich deswegen, ob man eher auf weitere Abertausende Tote und Zerstörung setzt. Und zwar Zerstörung von allem. Einer absehbaren Zukunft der Ukraine. Mit allen Facetten: Sozialen, demokratischen, rechtsstaalichen. Einer Erstarrung Europas, das dem weiter ratlos zusehen muss. An den eigenen Ansprüchen zerbricht. Sich, wie die Ukraine, am Krieg aufreibt. Oder ob man die einzige Alternative außer dumm rumstehen und -plappern zieht: Die, unentwegt, wie der stete Tropfen, der angeblich den Stein höhlt, vielleicht auch erfolglos, aber noch nie wirklich angegangen wurde – nämlich Diplomatie zu forcieren. Ohne gleich auf Null abzurüsten.
„Geisterfahrer“ schallt es denen entgegen, die nun, via Manifest, diesen Weg vorgeschlagen, ja gefordert haben. Ein nicht erstmaliges, aber in diesem Sinn bislang nicht so nachdrückliches Verlangen. Nun, „Geisterfahrer“ ist ein gutes Stichwort. In den wenigen Monaten seit Regierungsantritt nämlich waren Geistfahrten eine Spezialität von schwarz-rot. Mit Blick auf Migration an rechtlichen Bedingungen und Entscheidungen vorbei. Mit Blick auf den Investitions-Booster von Vize-Kanzler Klingbeil über das Erschrecken von Wirtschaftsexperten und Kommunen hinweg. Um nur zwei Beispiele zu nennen. „Geisterfahrer“ waren also die, die jetzt die Unterzeichnenden des Manifestes derart diskreditieren. Ohne mit Erfahrungen aufzuwarten, die ihnen Recht geben könnten.
Natürlich bleiben Deutschland und Europa nicht mehr allzu viele Versuche, sich als belastbarer Ideenpartner behaupten zu können, wie man aus dem Russland-Ukraine-Konflikt herauszufindet. In den Jahren seit Kriegsbeginn hat sich der Westen militärisch jedenfalls nicht so eingebracht, dass im Russland-Ukraine-Konflikt Kiew auch nur einen Deut Gelände- oder sonstigen Gewinn erzielen konnte. Außer man feierte die Tatsache, dass noch nicht die ganze Ukraine von Russland eingenommen wurde, als Sieg. Wäre das so, könnte sich der Krieg freilich noch Jahre, vielleicht Jahrzehnte hinziehen. Wirklich gewonnen wäre dadurch nichts, außer dass nicht alles verloren geht. Den Preis dafür hat noch niemand ernsthaft nennen mögen. Er dürfte gigantisch hoch sein.
Unterdessen wird, kurz vor dem SPD-Parteitag, bei dem das Manifest an den Grundwerten von Lars Klingbeil rütteln könnte, nicht aber an traditionellen Werten der Sozialdemokratie, alles unternommen, das Papier mit so viel Schmutz wie möglich zu bewerfen. In der Hoffnung, an den Verfassern und ihren Unterstützern werden genug Dreck hängen bleiben, um in der Merz-Klingbeil-Regierung nicht Stürme zu entfachen, die den Koalitionskahn ins schlingern bringen könnten. Auf der Habenseite der Regierung herrscht bislang eher Ebbe. Oder Gegenwind, der nicht vom Ideologiestreit entfacht wird, sondern von Realitäten, an denen schwarz-rot nicht vorbei kommt. Auch die breit zu spürende Ratlosigkeit im Russland-Ukraine-Krieg gehört dazu.

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