Mal angenommen, bei Ihnen um die Ecke, zwei Häuserblocks weiter, wohnt ein Nachbar, der Ihnen das Leben zur Hölle macht. Er droht Ihnen tagein, tagaus, Sie umzubringen. Er macht Ihnen das Dasein streitig, in dem er Ihnen immer wieder Nachrichten zukommen lässt, dass Ihr letztes Stündlein geschlagen habe. Und sie fürchten, dass er im Keller schon ein ganzes Arsenal von Waffen hortet, mit dem er Ihnen ein Ende setzen möchte. Wissen tun Sie das aber nicht so ganz genau. Aber klar: Das Ganze macht Ihnen Angst. Zu Recht. Weil Sie das nicht mehr länger zu ertragen bereit sind, Sie Ihre Familie schützen möchten, gehen Sie zu dem Nachbarn, klingeln, er öffnet und Sie schießen ihm eine Kugel in den Kopf. Nachbar tot. Was meinen Sie würde das vor einem deutschen Strafgericht für Sie bringen? Ich fürchte, Sie würden, Bedrohung hin oder her, in den Knast kommen.
Könnte es sich so ähnlich mit Israel und dem Iran verhalten? Am Sonntag saß eine Runde von „Expert:innen“, jedenfalls kenntnisreichen Journalist:Innen, bei Caren Miosga in der gleichnamigen ARD-Abendsendung. Die Bedrohungsszenarien, die für Israel vom Iran ausgehen, ließen sich dort beschreiben. Und waren die, die es seit Jahren gibt. Wonach der Iran immer weiter an seinem Atomprogramm rumschraubt. Inwieweit das schon waffenfähig ist, darüber wollte niemand in der Runde Belastbares sagen. Die Uran-Anreicherung nehme zu. Soviel steht wohl tatsächlich fest. Aber Raketen, nukleare Sprengköpfe? Nicht ohne Grund versuchen die USA, das Mullah-Regime noch per Verhandlungen zur Räson zu bringen, also nicht zu einer echten Atommacht zu werden. Sie sehen, so scheint es, dafür noch Chancen. Israels Regierung aber hat, salopp formuliert, die Faxen dicke.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat in Bewegung gesetzt, was ihm schon seit jeher vorschwebt: Dem Iran nicht nur, wie es bislang mit Nadelstichaktionen geschehen ist, durch gezielte Angriffe auf einzelne Köpfe und Institutionen des Regimes in Teheran in Nachbarstaaten Israels zu signalisieren, dass man nicht bereit ist, die Drohungen bis zum Sanktnimmerleinstag hinzunehmen. Und darauf zu setzen, dass Verhandlungen noch irgendetwas ernsthaft bewirken. Sondern jetzt endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Also Angriff auf den Iran als Staat mitsamt seinen Führern, Militärspitzen, Atomwissenschaftlern, islamistischen Scharfmachern. Koste es was es wolle. Auch zivile Opfer. Und, wie man sieht: Opfer in Israel selbst. Weil der Iran, das nimmt man hin (oder kalkuliert es sogar ein), sich sehr wohl zur Wehr setzt. Das weiß die ganze Welt.
Vor allem über Fragen militärischer Stärke auf der einen und der anderen Seite wurde bei Caren Miosga diskutiert. Das Völkerrecht wurde nur einmal kurz gestreift. Alle politischen Implikationen des aufflackerndes Krieges Zwischen Israel und dem Iran beschäftigten sich indessen mit der Frage, ob die Bevölkerung in Israel hinter Netanyahu stehe (die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann meinte, ja). Und ob, eventuell, die Bevölkerung im Iran nun endlich die Zeit gekommen sehe, den Angriff auf ihr Land dafür zu nutzen, sich des iranischen Unterdrückungsapperates und -regimes zu entledigen; eine „romantische“ Vorstellung, wie es in der Talk-Runde hieß. Denkbar. Aber auch das zunächst spekulativ. Denn sich einem Umsturz-Diktat aus Israel hinzugeben – dazu gab es dieser Tage mehrfach Anfeuerungen seitens Netanyahu – da wisse man nicht, ob das verfängt.
Es ist also Vieles in dem Konflikt, der sich gerade zum Krieg entwickelt, ganz und gar nicht sicher. Was in den nächsten Wochen daraus wird. Wie sich die USA und Europa dazu verhalten, wenn es zum Flächenbrand kommt, der neben dem Russland-Ukraine-Krieg neues geostrategisches Ungemach von verheerendem Ausmaß bedeutet. Und was das unter anderem auch für den Konflikt zwischen Isarel und den Palästinensern in Gaza und Westjordanland heißt. Kühne Stimmen behaupten, dass Netanyahu mit dem Angriff auf den Iran unter anderem genau davon ablenken will. Dass er also versuche, viele Fliegen mit einer Klappe, der Klappe seiner politisch-militärischen Hybris zu schlagen. Ob diese Rechnung, so sie denn stimmt, aufgehen wird, ist freilich fraglich. Player dabei sind nicht zuletzt auch die arabischen Staaten. Die sehen im israelischen Mehrfronten-Vorgehen ein klares NoGo.
Das Existenzrecht Israels, das bei allem immer wieder, allem voran natürlich von der israelischen Regierung selbst, in die Waagschale geworfen wird, ist nicht verhandelbar. Es wurde und wird allerdings nach wie vor von Teilen der islamischen Welt (und verbündeter Kreise anderswo) in Frage gestellt. Die Frage aber ist, wie man es behaupten und gegebenenfalls verteidigen kann und muss. Und, natürlich auch, inwieweit man es sich, und sei es nur verbal, streitig machen lassen darf. In Sachen Nadelstiche hat sich der Westen auf die Seite Israels gestellt. Und auch der Iran wagte nicht mehr, als seinerseits mit kleineren Gegenwehr-Attacken Gesichtswahrung zu betreiben. Jetzt aber rückt zunehmend die Frage des Völkerrechts in den Vordergrund. Viele Beobachter sehen in den Angriffen in Gaza und jetzt auf den Iran, dass hier ohne Zweifel internationales Recht gebrochen wird.
Damit zurück zu meinem, zugegeben auf den ersten Blick etwas abseitigen Vergleich mit dem Nachbarn, der einem Nachbarn nach dem Leben trachtet, und dem deswegen von Letzterem ein Loch in den Kopf geschossen wird. Mit der Folge, dass dieser Letztere trotz Bedrohungen strafrechtlich eher schlechte Karten hätte. Auch gegen Benjamin Netanyahu besteht ja, allein schon wegen Gaza, nach wie vor ein internationaler Haftbefehl. Was fast schon vergessen zu sein scheint. Völkerrechtlich sind die Angriffe Israels bei aller bedrohlichen Haltung des Teheraner Regimes vermutlich nicht weniger relevant. Denn bedrohliche Situationen für sich geben einem nicht das Recht für präventive Angriffe gegen einen anderen Staat. Zumal sie, wenn man Expert:innen Glauben schenkt, nicht derart akut sind, wie die israelische Regierung das vorgibt, um die Welt von ihrem Vorgehen zu überzeugen.
Es dürfte also schwierig werden für Israel, darauf zu setzen, dass die Welt damit einverstanden ist, das unverhandelbare Existenzrecht mit vermeintlich präventiven Angriffen auf den Iran zu verteidigen. Zumal mit einer solchen Strategie, die nicht nur auf Abwehr durch Abschreckung, sondern, so sagen es einige, auf Abwehr durch eine quasi Kriegserklärung setzt, nicht ohne weiteres die Existenz gesichert, sondern vielleicht sogar eher aufs Spiel gesetzt wird. Und das, so scheint es, ohne dass sich Israel auf etwas berufen könnte, was im strafrechtlichen Sinne beim abseitigen Vergleich (siehe oben) einer Notwehr gleich käme. Es sieht so aus, als würde gerade überall das Völkerrecht an den Rand getrieben. Russland-Ukraine, USA-Grönland (gern auch Kanada), Israel-Gaza: Wohin man schaut, wird das Völkerrecht durch Begehrlichkeiten und Angriffe zur Disposition gestellt.
Auf den ersten Blick mögen die angeführten Beispiele nichts miteinander zu tun haben. Und tatsächlich verhalten sich die Konflikte nicht im engeren Sinn gleich zueinander. Russland wurde nicht von der Ukraine bedroht. Die USA nicht von Grönland. Präsident Donald Trump schöpft seine Lust auf mehr Territorium in diesem Fall allerdings auch durch den Link, seine Vereinigten Staaten müssten Grönland besitzen, um Angriffen aus dem Osten besser entgegentreten zu können. Israel hat dagegen durchaus Grund, sich vor (Fast-)Nachbarn zu fürchten. Ob das allerdings ausreicht, um einen Krieg anzuzetteln, den Iran anzugreifen, das noch so unsägliche System dort aus den Angeln zu heben, ist mehr als fragwürdig. Es ist eher so, als würde sich Netanyahu einen weiteren Völkerrechtsbruch leisten. Die Position Israels wird damit nicht gerade gestärkt, im Gegenteil.

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