In der Berliner Tageszeitung (taz) stand jetzt ein Kommentar, der überfällig ist. Es geht um einen Beitrag in der Wochenzeitung Die Zeit. Darin lobt der Autor Robert Pausch (früher einmal Politikwissenschaftler am Göttinger Institut für Demokratieforschung, Ex-Henri-Nannen-Journalistenschule-Eleve, seit 2018 Politikredakteur bei Die Zeit und in diesem Jahr mit dem Leuchtturm-Preis des Netzwerks Recherche ausgezeichnet) unter dem Titel „Rechts dreht auf“, Teaser: „Fundis gegen Realos – momentan ist die AfD die einzige Partei, die strategisch diskutiert“ die Verve zweier Rechtsausleger. Als da sind: Der rechtsradikale Verleger Götz Kubitscheck und der nicht weniger rechtsradikale Politiker Maximilian Krah. Wenn man also überhaupt bei der Rechten von so etwas wie Flügeln sprechen will, dann handelt es sich um zwei Recken aus der Abteilung obermegasuperultrarechtsextrem.
Kubitscheck und Krah (AfD), so Robert Pausch, hätten sich vor einiger Zeit über „Sinn und Zweck rechtsradikaler Politik unterhalten“ – und was solle man sagen? „Das Gespräch, das man als Podcast hören kann, gehört zum Interessantesten, was politische Parteien und ihr intellektuelles Vorfeld zuletzt hervorgebracht haben“. Und: „Wie kann es eigentlich sein, dass strategische Diskussionen mit Tiefe und Substanz derzeit nur innerhalb der radikalen Rechten stattfinden?“ Ich muss mich schon arg beherrschen, dass ich nicht intensiver darüber sinniere, was Robert Pausch sich möglicherweise vor seinem Beitrag reingepfiffen haben könnte. Oder ob er so etwas wie ein rechtspopulistischer Agent ist, von Weidel&Co in das Giovanni-„Blatt“ klandestin eingeschleust, um auf Teufel komm raus gigantischen Unsinn zu verbreiten. Jedenfalls ist das Ding echt völlig abgedreht.
Auf Anhieb mag man Robert Pausch nicht unterstellen, irgendwie von Typen in der AfD beeindruckt zu sein. Wer aber behauptet, mit Kubitscheck und Krah seien auch nur ansatzweise „Tiefe“ und „Substanz“ unterwegs, der muss sich die Frage gefallen lassen, die Dirk Knipphals in der taz stellt. Ob er, Pausch, denn wahrhaftig meine, bekannte Ressentiments gegenüber Migration und Multiethnizität könnten etwas mit tiefschürfendem, intellektuellem Gedankengut zu tun haben. Oder ob Überlegungen in der Rechten, wie man deren antidemokratische Agenda trickreich grundgesetztauglich machen könnte, „Vorbild für Grundsatzdebatten“ sein sollten. Pausch hat mit seinem, bestenfalls ungewollt anbiedernden Beitrag Empörung ausgelöst. Erschien er vielen doch allzu wohlwollend. Einen „freundlichen Blick über die Brandmauer“ nennt ihn der taz-Kommentator.
Der Blick kommt nicht aus heiterem Himmel. Schon lang bevor Robert Pausch für eine, wie ich finde, nicht sonderlich sensationelle Recherche über Intrigen der FDP gegen die 2024er Ampel-Regierung den Leuchtturm-Preis des Netzwerks Recherche erhielt, konnte man bei dem damals jungen auftsrebenden Journalisten einen auffälligen Draht zu Geschichten erkennen, in denen Linksabtrünnige oder SPD-Rückenkehrer ihre Liebe zur AfD entdeckten. 2017, vor der NRW-Landtagswahl, war es eine Story im Tagesspiegel, in dem ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat „unter Tränen“ und mit allerlei Anti-Migrationswut im Bauch ins rechspopulistische Lager fand. Dafür gab‘ den Reportagepreis der Heinrich-Böll-Stiftung. Im Jahr zuvor war es ein Beitrag in Cicero über eine Altlinke, einst aus SO36, also dem wilden Kreuzberg, die die Fronten wechselte und zur Welt der AfD stieß.
Freund:Innen von mir meinten neulich mal, und nicht ganz unzutreffend, Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit und Talk-Gastgeber von 3 nach 9 (NDR), sehe mittlerweile ein bisschen müde aus. Er hangele sich, so ihr lakonischer Kommentar, nur mehr schlecht als recht durch den Abend. Rede deutlich langsamer, als sie es in Erinnerung hätten. Und wirrer. Kurzum: Für jeden, so die Runde, gehe ja mal die Zeit vorbei, da er (oder sie) noch wach, verbal gewandt, mit jugendlichem Esprit und gesellschaftspolitischer, kritischer Neugier seiner Gastgeberrolle gerecht werde. Hm. Jetzt, da ich den Pausch-Kommentar im von di Lorenzo geleiteten und verantworteten Medium lese, frage ich mich, ob das nur für den Abend-Talk gilt oder auch für die journalistisch tragende Rolle des Chefredakteurs eines ja doch lange schon irgendwie angesehenen und führenden Medienladens.
Denn, meine Meinung: Bei aller Liebe zu Meinungsautausch und mehr oder weniger fröhlich stimmenden Diskussionen, muss man es ja nicht übertreiben. Und so tun, als wären Protagonisten anderer, vor allem demokratischer Parteien, so ganz und gar aus den Fugen geraten, debattenfeindlich, intellektuell unterbelichtet. Wer jedenfalls der AfD und ihren Anhängern derart wohlwollend eine herausragende Debatten-Kultur attestiert, und dieser Kultur auch noch Exklusivität bescheinigt, und sich geradezu in einen der Rechten zugeneigten Wortrausch schreibt – der sollte zumindest von der Redaktion schleunigst ein Freiticket für diverse ausgiebige Bildungsurlaube bekommen. Einen mit dem Titel: Rechtsextremismus für Anfänger. Der andere: Journalismus und intellektuelle Distanz. Dann wäre, auch in der Zeit, schon Einiges gewonnen.

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