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Elefant Statt Fliege!

Herr Platzeck, vormals SPD-Chef und Ministerpräsident von Brandenburg ist laut FAS („Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), „Spiegel“ und russischer Oppositionsplattform „The Insider“, seit Beginn des Kreml-Überfalls Februar 2022 auf die Ukraine mindestes 9 x zu Gesprächen nach Moskau gereist. Einige Male wohl auch mit Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) „im Gepäck“. Wow! Der Hammer! Jedenfalls für die Mehrheit der deutschen Journaille. Und als Privatperson. Au weia! Worum es genau ging. Es wird spekuliert. Angeblich um Unterredungen, die etwas mit einem Frieden zu tun haben könnten. Schlimm? Schlimmer, als Gespräche in Katar, China und sonstwo, bei denen Gespräche mit Menschenrechtsverbrechern mit blühenden Geschäfte zu tun haben? Und schlimmer als deutsche Unternehmen, die weiterhin in ihrem Handeln Sanktionen gegen Russland umgehen?

Wohl denen, die stets ein Kaninchen aus dem Hut zaubern, das von Problemen innerhalb eigener Grenzen ablenkt. Sozialpolitik im weitesten Sinne. Renten, Pflege, Altersarmut, Wohnungsnot, Kita-Unterversorgung konkret. Mal sitzt das Kaninchen da, mal dort. Am Besten im Ausland. Und wenn im Inland, dann eines, dass vor ausländischen Schlangen nicht zurückschreckt. Wer bitte schön, ist Platzeck, möchte man fragen. Irgendeiner, der noch wichtig ist? So wichtig, dass man sich derart, wie es Medien dieser Tage tun, an ihm abarbeitet? Mir ist es, mit Verlaub, egal, wer in Russlands Hauptstadt auf Gesprächssuche geht. Solange er nicht Waffen verhökert. Oder Sanktionen unterläuft und damit Geld in den Kreml-Sack manövriert, damit dieser weitere Waffen gegen die Ukraine in Stellung bringen kann. Aber jetzt auf Teufel komm raus abgehalfterte Politiker aus der Versenkung schreiben?

Es zeugt nicht von sonderlichem journalistisch-intelligenten Ehrgeiz, Platzeck an den Karren zu fahren. Das ist billiger Mainstream. Das mach ich jede Stunde, wenn Bedarf herrscht. Ohne, dass ich mich weit aus dem Fenster hängen muss. Vor allem aber in der Gewissheit, dass ich damit in jedem Fall nicht falsch liege. Immer druff auf die Bedeutungslosigkeit und ihre werten Protagonisten. Auch wenn die keinen Schaden anrichten. Jedenfalls keinen, der größer wäre als etwa das politische Ränkespiel eines US-Präsidenten, der alles, was er tut unter der Rubrik „eigener Reichtum“ subsumiert. Und dem es in vielerlei Gesprächen noch nicht mal um einen Frieden geht. Wir schauen, typisch deutsch, gern nach der Fliege in der Suppe. Nicht danach, ob die Suppe an sich eine Zumutung ist. Wir reklamieren die Fliege, nicht den Elefanten, der sich durch die Küche bewegt.

Einem Elefanten bin ich dieser Tage bei einer Führung zur Architektur in der früheren Stalin-Allee in Berlin begegnet. Heute Karl-Marx-Allee, was für viele das gleiche ist. Jedenfalls erzählte der belesene ältere Guide, dass die ja sehr beeindruckenden Wohnkomplexe hinter dem Prachtboulevard, der einst von der DDR-Nomenklatura und mehr oder weniger opportunen Bauherrn zu Ehren des Sowjetführers errichtet wurde, im Affenzahn entstanden. Wie auch die Wohngebäude nördlich und südlich davon. Schon damals wurden für Projekte Milliarden-Schulden gemacht. Auch fürs repräsentative Wohnen. Nur, dass damals auch die, die beim Häuserbau mithalfen, über Losverfahren und Verteilsysteme dort unterkamen. Nicht nur Bonzen. Die Schuldenlast jedenfalls war beträchtlich, aber vergleichsweise weit von Sondervermögen entfernt, die heute in deutsche Rüstung fließen.

Der Elefant, so meine Analogie, heißt, frei nach Paul Hindemith: Wir bauen eine Stadt. Eine musikalische Anleitung für Kinder. Der Bauhaus-Philosophie nahe. Musik, die sich zusammensetzt, wie sich Architekten modernes Bauen vorstellten. Und deswegen auf Kritik stieß. Ein Stück mit „pädagogischen und sozialen Tendenzen“. Denen einen Ansporn, den anderen Dorn im Auge. Wie dem auch sei, wurde zu Anfang der DDR geklotzt und nicht gekleckert. Auch da, wo es nicht um einen repräsentativen Vorsprung des Sozialismus ging, sondern darum, Menschen in den Trümmern des zweiten Weltkriegs so rasch wie möglich Dächer überm Kopf zu schaffen, wurde hingelangt. Mit dem Versprechen, selbst davon zu profitieren. Im „Weber“kiez etwa. Mit Elefant meine ich: Wenn man den wie auch immer ausstaffierten politischen Willen hat, Wohnungen zu bauen, dann geht das auch.

Und warum, so meine Frage, sollte es nicht möglich sein, wenn man heute einen Rüstungselefanten durch den deutschen Haushalt treibt, auch einen Wohnungselefanten in Bewegung zu setzen. Man braucht ja „bloß“ ein Sondervermögen für Wohnungen, das vermutlich weit kleiner wäre, als das, welches man für die viel beschworene „Kriegstüchtigkeit“ zaubert. Das Gleiche gilt für Renten, Pflege, Gesundheit, Kitas etc. Es fehlt nicht am Geld, mit dem man sich verschulden müsste. Es fehlt am Willen, zu entscheiden, dass man lieber für Wohnungen Schulden macht, als für Waffen. Und dass man, damit wäre ich wieder bei Matthias Platzeck, sich besser unentwegt mit genau diesem Willen oder Nichtwillen unserer regierenden Politiker beschäftigen sollte, als mit Reisen eines nirgendwo mehr regierenden Politikers, der nichts weiter als die Fliege in der Suppe ist. Wenn überhaupt.

Oder ist es zu viel verlangt, dass die vermeintlich moderne Bundesrepublik, die sich ehedem ja auch nicht gerade vornehm den Ulbricht-später-Honecker-Staat einverleibte, zumindest so viel Anstand besitzt, den vormaligen alten sozialistischen Wohnungsbauehrgeiz zumindest nicht zu unterbieten. Oder ist der nur dann möglich, wenn Stalin im Nacken sitzt? Das wäre ja blöd! Sitzt der Stalin-Nachfolger Wladimir Putin tatsächlich so fest und bedrohlich im Nacken der schwarz-roten Koalition, dass er es schafft, den Rüstungselefanten wichtiger zu nehmen als den Wohnungselefanten? Kann es sein, dass sich die Union-SPD-geführte Bundesregierung wie ehemals die DDR von Moskau diktieren lässt, wohinein Schulden gemacht werden? Nur, dass es heute nicht um Wohnung geht, sondern um Panzer? Das wäre ein fataler Rückschritt unter gewissermaßen poststalinistischem Diktat.

Diese völlig weichgepuderte Bundesregierung merkt ja gar nicht, wie sehr sie sich unter der Maßgabe, nichts aus Moskau diktieren zu lassen, Alles aus Moskau diktieren lässt. Mit dem Sondervermögen für Rüstung quasi auch die Rente, Pflege, Altersarmut, den Wohnungsbau – kurz: die gesamte soziale Versorgung der Bevölkerung, für die sie gerade zu stehen hat. Wer in dieser Situation Herrn Platzeck kritisiert, hat den – sorry – wirklichen Schuss nicht gehört. Der befindet sich weder auf dem großen, noch auf dem kleinen Schlachtfeld der Politik. Der befindet sich im politischen Abseits. Dem Abseits, aus dem heraus solche wie Matthias Platzeck ihre Aktivitäten planen. Wer sich auf Platzeck konzentiert, macht sich mehr mit ihm gemein, als man wahrhaben möchte. Werfen wir bitte also ausschließlich Blicke auf die Elefanten der Politik, nicht auf die Fliege in der Suppe.

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