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Woche 29/2025

Es gibt in all dem unerträglichen Politikspektakel, das jede Woche neuen Zulauf bekommt, erfreulich Nachdenkliches. Diese Woche allem voran die Rede von Schauspieler und Autor Matthias Brandt zum Gedenken des am 20. Juli 1944 gescheiterten Attentats auf Nazi-Diktator Adolf Hitler. In der Gedenkstätte Plötzensee, wo ehedem mehr als 2800 Menschen, unter ihnen viele, die sich dem Widerstand gegen das Nazi-Regime verschrieben hatten, von der faschistischen Justiz hingerichtet wurden, erinnerte Brandt daran, was dieses Gedenken heute bedeutet: Sich gegen „Hass, Rassismus und Ausgrenzung“ zu wenden. Gegen eine „Verrohung des Umgangs“. Nicht zuletzt einer Verrohung, die sich durch „sprachliche Natur, durch Gewalt und bewusstes Kokettieren mit Sprachbildern der NS-Propaganda“ zeige. Zeichen dafür, wie es um die „Geschichtsvergessenheit“ bestellt sei.

Diese Verrohung zog sich spürbar von der vergangenen Woche in diese Woche hinein. In der Angriffe und Diskussionen um die von rechts hintertriebene Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zu einer der neuen Bundesverfassungsrichter*Innen weitergingen. Man darf gespannt sein, ob die SPD, die Matthias Brandts Vater Willy Brandt einst 23 Jahre lang als noch integre Stimme der Sozialdemokratie geführt hat, das Rückgrat besitzt, trotz oder besser gerade wegen des von rechts befeuerten Widerstands aus der Union an ihrer Kandidatin festzuhalten. Mag sein, dass Brosius-Gersdorf auch zurückzieht, bevor sie weiter durch den Schmutz gezogen wird. Dann freilich hätten rechte Medien und ihre Polit-Entourage erreicht, was die erreichen wollten. Und das über Bande, die einen Vorgeschmack gibt für den Fall, dass uns eines Tages schwarz-blau regieren sollte.

Vor dem Hintergrund der rechten Hetzjagd gegen Frauke Brosius-Gersdorf fragt man sich allerdings, was ihren Mann Hubertus Gersdorf geritten haben mag, dem rechten Schmierblatt „Junge Freiheit“ ein Interview zu geben. Oder ist das gar nicht so verwunderlich? Im „Tagesspiegel“ jedenfalls gibt es ein Interview mit einem Kollegen von Hubertus Gersdorf. Der, Andreas Fischer-Lescano sein Name und einer von 17 Staatsrechtlern, die sich für ein AfD-Verbot einsetzen, lässt über Hubertus Gersdorf wissen, dass dieser sich doch einigermassen verfassungsrechtlich fragwürdig in der „Jungen Freiheit“ gegen ein Verbot der rechten Partei gestellt habe. In dem er zum Beispiel versuche, „rechtsextremer Remigrationspolitik einen Persilschein mit staatsrechtlichem Siegel auszustellen“. Seine Frau wird von rechts demontiert – er gibt dem Zentralorgan der Rechten Auskunft, hm.

So sehr, wie man sinnhaft über ein AfD-Verbot diskutieren kann, so wenig darf man annehmen, Hubertus Gersdorf habe möglicherweise nicht gewusst, worum es sich bei der „Jungen Freiheit“ handelt. In meinen Augen wäre das ein veritabler Scheidungsgrund. Aber das müssen die (Brosius-)Gersdorfs unter sich ausmachen. Bleibt die Frage, ob die vorläufige schwarz-rote Koalition noch vor der Sommerpause eine akzeptable Kurve kriegt. Oder ob das schon eine verstärkte Form von Ampeliritis ist. Mit absehbarem Ende. Jedenfalls ist die Bühnenfassung von „Die (potenzielle) Richterin und ihre Henker“ ein Stück mit allen Ingredenzien für einen tragischen Ausgang. Zumal nun auch gegen die zweite Richter-Kandidatin der SPD Front von rechts gemacht wird. Die AfD und Kohorten sind auf den Geschmack gekommen. An der Pfeffermühle u.a. Ulrich Vosgerau, CDU-Mann und AfD-Rechtsvertreter.

Vosgerau ist ein besonders integrer Mann der vermeintlichen Mitte-CDU. Er, von dem bisher nicht bekannt ist, dass er hochkant aus der Partei geschmissen wurde, vertrat die AfD in vielen Fällen. Etwa zur Asylpolitik. Und auch der AfD-Anheizer Björn Höcke war laut Wikipedia schon sein Mandant. Ebenso das rechte Compact-Magazin, das verboten werden sollte, aber nicht wurde. i-Tüpfelchen, ist seine Teilnahme am Potsdamer Treffen rechter Politausleger, weswegen sich die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtler von Vosgerau distanzierte, wie es bei Wikipedia heißt. Offiziell auf Distanz gegangen sind die Christ(!)demokraten auch (nicht) zu Saskia-Ludwig. Sie ist Befürworterin einer Koop-Strategie mit der AfD, Gegnerin von Brosius-Gersdorf, steckt nun aber wie kürzlich diese wadentief in einer Plagiatsnummer. Ob es ihr gelingt, sich wie Brosius-Gersdorf daraus zu befreien?

PS aus aktuellem Anlass: Da meldet sich heute ein „Tagesspiegel“-Jungredakteur (dem Bild nach zu urteilen) zu Wort. Überschrift: „Kindische ‚Scheiß-AfD‘-Gesänge“. Gemeint ist die Störaktion des „Zentrum für Politische Schönheit“ gestern anlässlich des ARD-Sommerinterviews mit AfD-Chefin Alice Weidel. Mit der Folge, dass Weidel und ihr Interviewer kaum ihr eigenes Wort hören konnten. Hilflos und kontraproduktiv, nennt der Kommentator die Aktion. Ich finde frei nach Roberto Blanco: Ein bisschen Spaß muss sein, ta-ti-ta-daa-da-da-daa. Und mit Verlaub: So kontraproduktiv wie die Aktion von rechts und rechten Unions-Abgeordneten gegen Frau Brosius-Gersdorf kann so eine Störnummer gar nicht sein. Behalten wir also die Nerven, verehrter „Tagesspiegel“, und machen uns ein bisschen locker. Solange jedenfalls, wie der AfD-Tort nicht gänzlich unser Leben foltert.

Nun, gibt es noch etwas außer den unappetitlichen Geschichten vom rechten Rand der Republik? Mehr Erfreuliches, wie die Rede von Matthias Brandt in Gedenken zum Attentatsversuch gegen Hitler? Vielleicht, dass Missbrauchsopfer den katholischen Kardinal Woelki im Vatikan angezeigt haben. Damit der Papst mal zeigen kann, ob er wirklich Vertreter des lieben Gottes auf Erden ist. Oder, dass Die Linke verpflichtend Schwimmunterricht an Schulen fordert. Denn Schwimmen sei, so zitiert der „Spiegel“ die Partei, „ein verdammtes Grundrecht“. Gemeint ist das Schwimmen im Wasser, nicht das in lauwarmen politischen Gewässern. Ein Katalog der Linken zu den Sommerferien. Allerdings kommt das für schwimmunkundige Kinder für dieses Jahr zu spät. Die Sommerferien haben so gut wie begonnen. Glück: Kinder haben Schwimmreifen, die vorm Untergehen bewahren.

Was könnte man noch unter Erfreulichem nennen? Die Schelte der Chefin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, wäre noch was. Gegen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das hatte für einen „Boomer-Soli“ plädiert – es gibt ja nichts mehr, was derzeit nicht derartig fluffige Slogans trägt. So fluffig kommt denn auch die Idee daher: Sollen doch die reichen Rentner den armen Rentnern was abgeben. Zack, Rentenprobleme gelöst. Von wegen, so der VdK. Der zu Recht darauf hinweist, dass damit das langfristige Dilemma nicht gelöst, die eklatanten Ungleichheiten nicht ausgeräumt werden können. Besser wäre es, grundsätzlich „Superreiche“ zur Finanzierung des Sozialstaats heranzuziehen. Das wäre noch nichtmal Verstaatlichung. Nur ein bisschen mehr Solidarität, die der VdK fordert. Für den DIW freilich kommt Frau Bentele vermutlich kurz nach Karl Marx.

Was, wieder einmal, die Debatte aufmacht, die ich zeitlebens führe: Was wäre so schlimm an mehr Staat? Antwort: Sieh dir doch mal an, was die sozialistischen Systeme gebracht haben. Und wo sie sind. Ramponiert. Oder weg. Oder sie führen Kriege wie Russland. Oder fallen über die weltweiten Märkte her, wie China. Alles richtig. Nur schauen wir uns zum x-ten Male den Kapitalismus an. Produktionsweise, Privatkapital, Bruttosozialprodukt, rechnen Betriebswirtschaft gegen Sanierungs- resp Entlassungsprogramme, teilen sie durch volkswirtschaftlichen Nutzen – und betrachten daneben die sozialen Verhältnisse. Also ich komme da zu keinem ernsthaft guten und überzeugenden Ergebnis. Das spricht überhaupt nicht für die Sozialismen, die wird kennenlernen durften. Aber auch nicht für den Kapitalismus. Der sich derzeit nicht gerade von sozialmarktwirtschaftlicher Seite zeigt.

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