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Selenskyi goes X

Vorneweg: Russlands Krieg gegen die Ukraine war von Anfang ein verbrecherischer und völkerrechtswidriger Angriff auf die Integrität des Nachbarlandes. Und die Ukraine hat alles Recht, sich gegen diesen Angriff zur Wehr zu setzen. Auch militärisch. Wenngleich Kriege wegen ihrer bisweiligen Aussichtslosigkeit umstritten sind. Was, und damit komme ich zur ukrainischen Hausmacht, aber mitnichten rechtfertigt, im eigenen Land Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen. Der Schutz der eigenen Existenz, der Existenz des eigenen Staates, kann nicht implizieren, in diesem Staat willkürlich herrschen zu dürfen. Das aber ist bei Präsident Wolodymyr Selenskyi von Kriegsbeginn an, sachte formuliert, missverstanden worden. Nun erklimmt dieses „Missverständnis“ mit dem Gesetz zur Beschneidung des Kampfes gegen Korruption einen weiteren Höhepunkt. Mit dem, so ein ukrainischer Journalist gegenüber n-tv, Selenskyi sein Image „nachhaltig beschädigt“ habe.

Falsch. Der Ruf Selenskyis ist, wenn man die Debatten in der Ukraine nicht unter dem Kriegsschutt begraben will, längst nachhaltig beschädigt. Es geht dabei um einen „Wesenszug“, den wir auch vom israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu kennen. Wie er, glaubt auch Selenskyi, dass die Verteidigung der Existenz des eigenen Staates nicht nur im Zweifel mit fragwürdiger innenpolitischer Ränke verknüpft sein dürfe. Ist es bei Netanyahu die Justiz, der er parallel zu seinen zunächst verständlichen Schlägen gegen die Hamas zu Leibe rückt, ist es bei Selenskyi die bisherige Autonomie der Korruptionsermittler, die ausgehebelt werden soll. Unter dem Vorwurf, mit dem Feind im Kreml zu kollaborieren. Ein wohlfeiler Vorwurf, der unangreifbar erscheinen soll. Doch sowohl die EU als auch Demonstrationen in vielen ukrainischen Städten machen deutlich, dass man im Vorwurf eher einen Vorwand wähnt. Hinter dem sich Angst verbirgt, mögliche üble Geschäfte könnte ruchbar werden.

Die Anti-Korruptionsbehörden NABU und SAP in der Ukraine wurden mit westlicher Hilfe (EU, USA) geschaffen. Ihre Unabhängigkeit gilt als Voraussetzung für den Beitritt zur EU und die Sicherheit westlicher Unterstützung. Der Argwohn, Gelder könnten im Kriegstreiben auf dubiose Weise in dunklen Kanälen versickern, fand in der Vergangenheit durchaus seine Gründe. Nicht grundlos ist denn auch der deutliche Hinweis kritischer Beobachter darauf, dass sich die Ukraine auf Platz 105 von 180 Ländern im Korruptionsindex von „Transparency International“ befinde. Zu denken, dass man diesen Makel, der einem verwehren könnte, in die erstrebten Reihen der EU aufzurücken, so einfach per Gesetz aus der Welt schaffen könnte, ist politisch dreist. Wenn nicht erst gerade Anlass, der Sache gründlich auf den Zahn zu fühlen. Dass auch Kritik von unablässigen politischen Selenskyi-Unterstützern kommt, geht sicherlich genau in diese Richtung. Aus Solidarität, wohlgemerkt.

Es ist eine krude Annahme, dass im Krieg, ja selbst mit den schlimmsten Feinden, wie der Hamas oder dem Kreml-Chef, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit so mir nichts, dir nichts unterlaufen werden könnten. Die Zensur von Medien, das Aushebeln einer funktionierenden unabhängigen Justiz, ein terrorartiges Vorgehen gegen die, die nicht dem einen oder anderen Krieg per Dienst an der Waffe zum Opfer fallen möchten, und eben nun das Abschalten von Organisationen, die möglicherweise fragwürdigen Kriegsgewinnlern das Handwerk legen wollen, sind Zeichen dafür, dass hier Regierungen eher autokratische Züge untermauern. Das schädigt nicht bloß den Ruf jeweils derart Regierender, das schädigt, pathetisch formuliert, die Zukunft eines Staates, dessen Bevölkerung denkt, es gehe bei Allem um den Schutz von eigener Demokratie und eigenem Rechtsstaat. Nicht um den Schutz von Macht und persönlichen Vorteilen. Letzteres wird allerdings immer wieder befürchtet.

NABU und SAP: Beide Antikorruptionsorgane waren 2014 erschaffen worden. Also schon zu Zeiten der umstrittenen russischen Krim-Annexion. Die Organe galten, wie die FAZ textet, als „Revolution der Würde“. Sie wurden von ukrainischen Verfechtern einer konsequenten Reformpolitik durchgesetzt. Ihre Arbeit wirkte. „Der Verdacht drängt sich auf, dass genau der Grund dafür war, nun gegen sie vorzugehen“. Das Gesetz besagt, dass die Generalstaatsanwaltschaft, eine Behörde, die der Regierung Selenskyi eng unterworfen sein dürfte, den Ermittlern in Sachen Korruption in Zukunft nach politischem Gusto Fälle entziehen kann. Wie die FAZ nüchtern kommentiert, ein „Schlag“ auch gerade gegen „das Rückgrat der gesellschaftlichen Verteidigung, ohne die die ukrainischen Streitkräfte viel schlechter dastünden“. Nun, es ist für die Hybris von Staatschefs wie Selenskyi nur allzu typisch, mit dem gebeugten Kriegsrücken zur Wand derart unbedacht oder gar vorsätzlich zu agieren.

Noch schlimmer: Es ist mit der Weile bei Selenskyi wie bei Netanyahu der Eindruck entstanden, dass ihnen in der Abwehr von Gefahren und im Zweifel an eigener Stärke nichts mehr heilig ist. Dem Einen nicht das internationale Völkerrecht. In dem er die palästinensische Zivilbevölkerung aushungert, teils auslöscht und alsbald einzupferchen gedenkt, so dass seinem Vorgänger Ehud Olmert nurmehr das Wort „Konzentrationslager“ einfällt , für das hierzulande die Höchststrafe „Antisemitismus“ ausgesprochen würde. Dem Anderen nicht Grundpfeiler eines Rechtsstaates. In dem er jene beugt, die sich ihm und seinen mehr oder weniger beargwohnten Interessen im Weg stehen könnten. Dass er damit in Konsequenz und Kurzsichtigkeit die internationale Unterstützung verspielen könnte, scheint ihm nicht bewusst oder egal. Auch wenn er jetzt versucht, seinen Plänen eine neue Wendung zu geben. Er hat den nationalen und internationalen Protest unterschätzt. Wie fahrlässig.

Der Krieg, wo auch immer, so wird einmal mehr deutlich, wirft nicht nur die Frage auf, inwieweit er zum Frieden führt. Er wirft auch die Frage auf, was am Ende bleibt, wenn die Waffen schweigen. Neben zu betrauernden Opfern und zerstörtem Territorium. Wenn die Waffen schweigen wird es im Nahen Osten niemanden mehr geben, weder Israelis noch Palästinenser, die den Terror- und Kriegstreibern auf allen Seiten, trauen. Und in Russland und der Ukraine niemanden mehr, der glaubt, dass Integrität, Demokratie und Rechtsstaat etwas ist, was sich zu einem Guterletzt behauptet hat. Sondern dass sich, auf ukrainischer Seite, aus der Verteidigung des Staates die Opferung gesellschaftlicher Emanzpiertheit ergeben hat. Und auf russischer Seite die großrussischen Fantasien in poststalinistische Selbstzerstörung gemündet sind. Im Nahen Osten ähnlich. Weder extremistische Palästinenser noch Extremisten wie Netanyahu werden je mehr auf Vertrauen setzen können.

Nun, ich höre schon den Gegenwind pfeifen. Was mir einfiele, Selenskyi und Netanyahu in auch nur irgendeiner Weise im Zusammenhang mit Krieg und Verfehlungen „abzuhandeln“! Es gibt dafür einen nicht so sehr abwegigen Grund. Sowohl die Ukraine als auch Israel haben nach wie vor unsere besondere Solidarität. Grundsätzlich. Aber diese Solidarität wird von Israels Regierung durch das verheerende und menschenverachtende Vorgehen Netanyahus in Gaza durch den Dreck gezogen. Und Selenskyi schickt sich immer wieder an, Solidarität durch machtpolitische Volten, die eine Geringschätzung „seines“ Volkes erkennen lassen, auf den Prüfstand zu stellen. Und dazu zählt aktuell die Entmachtung der Antikorruptionsorgane. Gerade besondere Solidarität mit den Menschen, die in den Ländern leben, ist kein Freifahrtschein für Regierende. Sie besitzen die Staaten nicht. Immer wieder kommt es einem freilich so vor, als würden sie genau davon ausgehen. Das ist politisch fatal und rächt sich.

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