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Was Kultur Darf

Es treibt mich derzeit besonders um, wie nicht nur von der AfD (siehe etwa die Angriffe auf die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf mit Blick auf die Wahl neuer Verfassungsrichter*innen), noch nicht mal „nur“ aus der politischen Mitte heraus (mit Unionsprotagonisten wie Jens Spahn und Julia Klöckner), sondern aus dem Herz der Kultur selbst perfide Attacken gegen die Freiheit geritten werden. Umso mehr bin ich für den Mut dankbar, den Künstlerinnen wie Petra Morsbach haben. Und, ja, auch bisweilen die „FAZ“, die ihr jetzt Platz für einen Gastbeitrag einräumt hat. Dabei geht es um einen gecancelten Auftritt des Schauspielers und Sängers Vladimir Korneev. Der wollte im Münchner Literaturhaus das Lied „Kraniche“ singen. In kompletter Ahnungslosigkeit, aber offenbar dafür mit umso mehr vorauseilender Angst, wurde dem Künstler nahegelegt, das Lied zu russischen Soldatenbegräbnissen nicht vorzutragen. Da half auch nicht, dass Korneev darauf hinwies, das „Zhuravli“, so der russische Titel, kein Kriegs-, sondern ein Anti-Kriegslied ist. Aber was stört das den dummen Kulturbetrieb. Russe bleibt Russe.

Am Ende der Diskussion stand die Absage. Punktum. Die Angst war besiegt, die Kultur geschlagen. Der Fall kam allerdings nochmal in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vor. Nachdem ihr Mitglied Korneev, so der Gastbeitrag, ihn dort zur Debatte zu stellen bat. Das tat die Akademie denn nicht wirklich. Deren weiteres Mitglied eben besagte Petra Morsbach ist. Die nun darüber in der „FAZ“ schrieb. Auch darüber, wie absurd es sei, dass die Akademie nicht über den Fall an sich (und einen weiteren) sprechen wollte – ausgerechnet mit der Berufung auf die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit. Aber eine Art Schweigepflicht gegenüber der Öffentlichkeit über das, was denn geredet wurde, oktroyierte. Fassen wir zusammen: den Fall gibt es, er wurde aber nicht behandelt und darüber wird Sprachlosigkeit verhängt. Das ist, wenn man so will, doppelte Cancel Culture. Und Ausdruck einer Form kultureller Hilflosigkeit, die an sich schon ein Lied wert wäre. Und es wäre kein Hohelied auf die Kunstfreiheit. Vielleicht eher eines, das das „Zentrum für Politische Schönheit“ demnächst vortragen könnte.

Die „Angelegenheit“, der mutige Gastbeitrag von Petra Morsbach und in diesem Momentum des „Verrats“ von Kulturlosigkeit auch die Offenheit der „FAZ“, zeigen einmal mehr den Zustand, in den Kultur hierzulande von Politik und ihren opportunistischen Mitläufern getrieben wird. Kulturpolitik steht derzeit (und ich fürchte zunehmend) auf zwei Pfeilern: Dem des finanziellen Aushungerns und Ausbootens. Und dem des Verhinderns von Kunstfreiheit. Genau genommen ist der zweite Pfeiler grundgesetzwirdrig. Aber, wie es immer so schön heißt, in „Abwägung“, da nimmt man das GG einfach nicht so ernst. Wenn der Russe singt, ist Putin nicht weit, so möchte man zu Gunsten des Münchner Literaturhauses und der Bayerischen Akademie meinen. Die sich, im Zweifelsfall, ja auf Boris Pistorius und andere berufen können. Insofern scheint es denn auch konsequent, dass das Geld, was der Kultur, besonders der freien, genommen wird, in die Schaffung von „Kriegstüchtigkeit“ fließt. Zu der auch gehört, das Anti-Kriegslied „Kraniche“ genau als solches unhörbar zu machen. Wäre ja noch schöner, jetzt den Frieden zu besingen!

Hier der Beitrag von Petra Morsbach in der „FAZ“:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ein-fall-von-cancel-culture-im-muenchener-kulturleben-110603543.html

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