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Woche 30/2025

Hallo, Frau Reiche! Meine Rechnung bei einer eher doch ziemlich positiv geschätzten Lebenserwartung von 80 Jahren, abzüglich etwa 20 Jahren Heranwachsen: Bleiben 60 Jahre, davon 40 Jahre arbeiten, 20 Jahre Rente. Das halten Sie für eine Schieflage? Entweder bei Ihnen sind die Synapsen außer Rand und Band geraten. Oder der Aufwuchs im Land der „Helden der Arbeit“ hängt Ihnen noch nach. Als postsozialistisches Trauma quasi. 2/3 Arbeit, 1/3 Rentenleben, das könne, so sagten Sie in ihrer Funktion als Wirtschaftsministerin, auf Dauer nicht gut gehen. Mein Tipp: Arbeiten Sie mal bei VW, gern bis zum Umfallen, statt 3/4 ihrer Erwachsenen-Zeit mit dem Verbreiten von Unsinn zu verbringen. Dass Ihnen die Arbeitgeber beispringen, war nicht anders zu erwarten: Auch dort stehen die üppigen Einkünfte diametral entgegengesetzt zum Intellekt. Der CDU-Arbeitnehmerflügel sprach mit Blick auf Reiche von einer „Fehlbesetzung“. Dieser Erkenntnis ist nichts, aber auch rein gar nichts hinzuzufügen.

Kommen wir zu einer anderen Fehlbesetzung, in mehrfacher Hinsicht. Nämlich „Fürstin“ Gloria von Thurn und Taxis – und ihren dazugehörigen Schloßfestspielen. Ein Tollhaus. Wollte sie doch, dass AfD-Chefin Alice Weidel dort einem Konzert von Vicky Leandros beiwohnen würde. Weil, und das ist der Kern des Unsinns im Katharina-Reiche-Format, Weidel nicht nur, so TuT, „eine attraktive, eloquente Frau“ sei. Nein, sie „versteht auch noch was von Wirtschaft“. Besser ließe sich der Bogen zu Reiche nicht spannen. Vicky Leandros jedenfalls ließ wissen, dass sie für  „Vielfalt, Toleranz, Menschenwürde, Menschenrechte und Internationalität“ stehe und Frau Weidel nicht im Publikum sehen möchte. Soweit kam ihr TuT entgegen. Allerdings soll die Rechtsextremen-Chefin dann nah bei mit einem Sektglas in der Hand gesehen worden sein. Besser, Leandros, die Sängerin, hätte TuT grundsätzlich einen Korb gegeben. So verirrte sich die Vicky L., leider, in einigermaßen schiefliegenden Halbtönen.

Dorthin soll sich auch „El Hotzo“ verirrt gehabt haben. Der einen, so wollten es Kritiker sehen, strafbaren Witz über US-Präsident Donald Trump gemacht habe. Als „El Hotzo“, im bürgerlichen Leben Sebastian Hotz, den Angriff auf den damals noch Wahlkämpfer Trump mit dem „letzten Bus“ verglichen und kommentiert habe: „Leider knapp verpasst“. Ahnend, dass die satirisch gemeinte Bemerkung durchaus als dem Präsidenten ernsthaft nach dem Leben trachtend gewertet werden könnte, hatte „El Hotzo“, der Satiriker, die Bemerkung schnell aus dem sozialen Netz gelöscht. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten sprang ihm unterdessen bei: Es handele sich um „straflose“, wenn auch möglicherweise geschmacklose Satire. Daran ändere auch der Shitstorm, der gegen Hotz losbrach, nichts. Nun wird man sehen, was die Staatsanwaltschaft macht, die der Ansicht ist, auch „Satiriker stehen nicht über dem Gesetz“. Man dürfe deswegen auch satirisch nicht alles sagen. Einspruch gegen das Gerichtsurteil ist noch möglich.

Keinen Einspruch, jedenfalls von denen, die nicht hinter jeder Israelkritik stets Antisemitismus sehen, also offenen Hass gegen Jüdinnen und Juden, dürfte es in Deutschland gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert geben. Der Vorgänger von Benjamin Netanyahu hat dessen aus mittlerweile und Gottseidank immer häufigerer Sicht verbrecherisches Vorgehen im Gaza-Streifen mit einem Wort beschrieben, für dessen Gebrauch man im Zusammenhang mit Israel hierzulande leicht in die Nähe von Strafbarkeit rücken würde. Olmert nannte die Pläne, rund 600.000 Palästinenserinnen und Palästinenser in das zu pferchen, was Netanyahu als „humanitäre Stadt“ bezeichnet, ein „Konzentrationslager“ zu schaffen. Olmert: „Es geht nicht darum, Menschen zu retten. Es geht darum, sie zu vertreiben – sie wegzuschieben, sie loszuwerden.“ Im Übrigen seien, so Olmert, nicht alle, die gegen Israel sind, „weil sie sehen, was im Fernsehen und in sozialen Medien gezeigt wird“, Antisemiten.

Aber da, wie so oft, hinkt die Semantik dem Verstand hinterher. Mit Absicht oder unabsichtlich. Man kann ahnen, wie schwer es jenen, die im Glauben, Israel sei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein Land der Unfehlbarkeit, nun sehen, wie die rechte Regierung hinter Alles zurückfällt, was Menschlichkeit ausmacht. In diesem Sinne fällt es gewiss auch schwer, den Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gutzuheißen, nach anderen 147 UN-Mitgliedern nun als erster G7-Staat die Gebiete der Palästinenser*innen als „Palästinenserstaat“ anzuerkennen. Viele versuchen den Willen Macrons mit dem Hinweis darauf zu kontern, dass das nun gerade jedweden Friedensprozess torpediere. Weil Macron Öl ins Feuer des Konflikts gieße. Plumper kann Kontern nicht sein. Eher stellt sich das gute Gefühl ein, den Gegnern einer gerechten Befriedung des Konflikts gingen die Pfeile in ihren Köchern aus. Das freilich wäre eine ausgesprochen hoffnungsvolle Sicht auf Frankreichs Vorstoß.

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