Es geht ein „Gespenst“ um in Deutschland. Namens „Kulturkampf“. Aber nein, ein Gespenst ist es nicht, vor dem man sich, kaum hat es seine Kluft abgelegt, nicht fürchten müsste. Es ist vielmehr eine offene Kampfansage. Diese Kampfansage hat viele Facetten. Je nach Bedarf werden sie sichtbar. Mal ist es die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die sich hervortut. Mal Wolfram Weimer. Was dem Kulturkampf – bislang – immanent ist: Er wird mal verdeckt, mal offen geführt. Ist aber, wenn man die Augen nicht verschließt, in jedem Fall verortbar. Auch erkennbar, jedenfalls nach außen, ist, dass rechten Kampfansagen nicht ein Pendant entgegenwirkt. Schritte für eine „kulturelle Gegenoffensive“, wie es Georg Seeßlen in einem Beitrag für den Berliner „Freitag“ nennt.
Er spricht in dem Beitrag davon, dass Alles, womit wir derzeit strategisch unterwegs sind, kulturellen Deutungen unterliegt. Also einer gewissen „Deutungshoheit“. Sein Verweis darauf, dass es eine durchaus schlüssige Denkschule gibt, wonach politischer Machtwechsel die „Erringung ‚kultureller Hegemonie’“ voraussetzt, ist mehr als hilfreich. Denn wer die Hegemonie im Auge hat, schafft sich auch ein Instrumentarium. Durch das die „kulturelle Hegemonie“ schlimmstenfalls in greifbare Nähe gerückt werden kann. Das Instrumentarium, so Seeßlen, heißt: Provokation, Inszenierung, Manipulation. Die rechte AfD verkauft ihren Kulturkampf „mundgerecht“. So dass die Faschisierung (Seeßlen) nicht auf den ersten Blick offenbar ist. Ein Falle, in die die Mitte willig tappt.
Klöckner, Weimar, auch Unionsfraktionschef Jens Spahn: Sie alle biegen bereitwillig in den von der Rechten ausgerufenen, mehr oder weniger offenen „Kulturkampf“ ein. Die AfD gibt Stichworte. Und das konservative Mitte-Lager marschiert. Wie Aufziehpuppen adaptiert es die von der AfD an die Wände der Republik gemalten Gefahren, etwa solche, die angeblich von Migration ausgehen. Und wie Aufziehpuppen teilt es, was Seeßlen mit „Erlösungsfantasien“ umschreibt. Erst die Einengung der öffentlichen Debatten und ihrer liberalen Vielfalt. Am Ende, das wird bei Klöckner bereits sichtbar, die Hinwendung zum Autoritären. Auf diese Weise verschiebt sich der gesellschaftliche „Kosmos“ (Seeßlen) peu a peu immer weiter und bedrohlicher nach rechts.
Dabei berührt der von der Rechten gezielt eröffnete „Kulturkampf“ nicht bloß kulturelle Dimensionen im engeren Sinne. Er berührt im Zuge machtpolitischer Dimensionen auch sozialpolitische Felder. Indem die sozialen Fragen nicht auf der Grundlage gesellschaftlicher Emanzipation erörtert werden, sondern indem auch sie einer offen autoritären Agenda unterliegen. Weil sie etwa mit nationalistischem, rassistischem Pathos verknüpft werden. Nach dem Motto deutsche Kohle nur für Deutsche. Autoritäre Absichten zeigt, so sinngemäß Seeßlen, auch die Kampagne gegen die SPD-Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht. Es geht, das ist das Ziel hinter dem Ziel, weniger um die Personen, als vielmehr darum, die Unabhängigkeit unserer Gerichte zu beugen.
Was verstört ist, dass dieser „Kulturkampf“ von rechts kein offensives, auf breite Schultern gestelltes „Echo“ von links findet. In einem „Freitag“-Beitrag schrieb ich vor Monaten, dass Die Linke nach ihrem Wahlerfolg Ende Februar nurmehr wenig vom Willen erkennen lässt, ihren Erfolg in eine breite Bewegung gegen rechts münden zu lassen. Unter Einbeziehung aller Kräfte, auch konservativer, die die AfD-Bestrebungen riechen, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat aufs Spiel zu setzen. Die Linke, vorneweg ihr Galionsfigur Heidi Reichinnek, scheint sich, dabei bleibe ich, zunehmend im parlamentarischen Betrieb zu verschanzen. Was nach außen hin sichtbar wird, ist, dass Ankündigungen politischer Offensiven zusehends im Sommer-Sande verlaufen.
Zuletzt versickerte das Vorhaben, eine große Kundgebung gegen das menschen- und völkerrechtsfeindliche Vorgehen Israels im Gaza-Streifen auf die Beine zu stellen. Aus „organisatorischen Gründen“, wie es hieß. Aus meiner Sicht sollte die Angst versteckt werden, pro-palästinensische Gruppen könnten unter antisemitischen Anklängen mitmarschieren und der Reputation der Linken schaden. Nun ist eine Demonstration gegen Israels Regierung nicht das, womit man den rechtsgedrehten „Kulturkampf“ im Kern kontern könnte. Es zeigt aber, dass es der Linken im Zweifel an Ideen und, wie mir scheint, auch am Mut fehlt, notwendigen Protest in die Offensive zu lenken. Lautstarke Sprüche im Bundestag sind für sich gesehen längst keine nötige „kulturelle Gegenoffensive“.
Es verwundert, dass das „Zentrum für Politische Schönheit“ mit der Störaktion gegen das ARD-Interview mit AfD-Chefin Alice Weidel auf öffentlichkeitswirksame Ideen kommt – und nicht Die Linke, die es ja nur ein paar Meter weit hätte, um kulturell notwendigen Protest in Szene zu setzen. Auch die Störaktion kann, by the way, nur so etwas wie der Anfang einer breiten Bewegung gegen den „kulturellen Kulturkampf“ von rechts sein. Wie wohl beschreibt die Aktion, wohin die Reise gehen müsste, will man rechten Strategien der Hoffähigmachung ihrer selbst etwas entgegensetzen, was republikweit tragen könnte. „Der Eros der Kultur, die Lust an Fantasie und Schönheit, ist ein Antidot gegen die Verbindung von Neopuritanismus und faschistischem Stumpfsinn“ (Seeßlen). Bingo!

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