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Friedenspreis Kein Friedenspreis

Wie sehr einseitige Konfliktbetrachtung das gegenwärtige Ringen um die Deutungshoheit, auch „Kulturkampf“ genannt, bestimmt, zeigt sich nun auch daran, wer den diesjährigen „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ erhält: Karl Schlögel. Der Historiker hat sich mitnichten einer diskursfreudigen Betrachtung des Russland-Ukraine-Konflikts gewidmet. Sondern – auch wenn man konzidiert, dass er sich umfassend mit russischer Geschichte und Politik, auch im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine befasst hat – sich komplett der gängigen Sichtweise der USA und Europas angeschlossen. Wonach der Krieg ausschließlich mit einem uralten Großmachtstreben Russlands zu tun hat. Und der Kurs von EU und NATO nicht ansatzweise in dem Konflikt eine Rolle spielt. Dass Schlögel nun den Friedenspreis erhält, ist also auf streitbare Art konsequent.

Wundern kann es einen nicht, wenn auch dieser „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ einer ultra-westlich gespeisten Sichtweise geopfert wird. Der in den USA und der EU gepflegte Mainstream legt sich auch hier wie Mehltau über jene, die derartigen Entscheidungen treffen – und damit kulturpolitisch versuchen, der offiziellen Politik den Rücken zu stärken. Wie sehr eine derartige Gangart obsolet werden kann, ist derzeit am Verhältnis zum Nahost-Konflikt zu betrachten. Gemessen an der anfangs uneingeschränkten Solidarität mit der israelischen Regierung, hat sich das Verständnis angesichts des Schreckens in Gaza inzwischen doch deutlich relativiert. Und wird am Ende auch einen Teil der Geschichts-Schreibung bestimmen. Der Konflikt Russland-Ukraine liegt gravierend anders. Dort werden freilich ebenfalls Stimmen lauter, die vor einer Verzerrung der Realitäten warnen.

Es ist ja richtig, wenn man Moskau vorwirft, an Doktrin festzuhalten, die älter als die Stalin-Ära sind. Aber durchaus an sie anknüpfen. Und sie zu einem neuen Höhepunkt getrieben haben und treiben. Dass der poststalinistische Diktator Wladimir Putin, nach einem hoffnungsvollen Zwischenspiel des Gorbatschow-Aufbruchs, wieder nach imperialen sowjetgetränkten Zielen strebt, steht nicht in Frage. Doch inwieweit die USA und die EU diese Ziele befeuert haben könnten, bleibt in den Betrachtungen von Karl Schlögel außen vor. Man muss das eine nicht Putin-freundlich kleinreden, um auch das andere zu sehen. Dies verhängte nicht die außenpolitische Aggessivität des Kreml. Aber es würde ein stückweit besser ausloten helfen, wie man zu dem käme, was vielleicht wirklich eine „Friedenspreis“-Ehrung wert wäre. Eine Anleitung dafür sind Schlögels bekannte Expertisen zu Osteuropa nicht.

Schlögel, einst Maoist, der dann aus Berlin-Kreuzberg flüchtete, weil ihm der Sturm und Drang der linken Szene zu viel wurde (nachzulesen bei „Cicero“), wird denn auch nicht überall überschäumend für seinen Preis gefeiert. Selbst die „FAZ“, die in ihm einen der brillantesten deutschen Historiker sieht, ist eher zurückhaltend. Wenn sich brillante Geschichtsforschung mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg in der Aufforderung zur weiteren militärischen Hilfe für Kiew unter Hinweis auf den Spruch erschöpft „Wenn du den Frieden willst, stelle dich ein auf den Krieg“ plus der Anfügung „Deswegen ist die Unterstützung der Ukraine auch der beste Weg, um den Frieden in Europa zu sichern“ – dann ist das eher eine magere Geistes-Ausbeute. Und ein Hinweis darauf, mit welchen plattitüdenhaften Ratschlägen heute Preise zu gewinnen sind. Die Jury bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm.

Wie die „FAZ“ richtig anmerkt, wird nun schon zum dritten Mal der Preis an Jemanden verliehen, dessen Werk im engeren oder weiteren Sinne mit dem Russland-Ukraine-Konflikt verknüpft ist. Man sei freilich auch schon im zweiten Jahr des Gaza-Kriegs. Damit sei die Spannung gewachsen, für wen sich die Jury diesmal entscheiden würde. Ich bin allerdings nicht der Ansicht wie die „FAZ“, dass die Entscheidenden sich dadurch in Bedrängnis fühlen mussten, dass ein Preis mit Bezug zum Gaza-Krieg wegen polarisierender Preisträger schwierig gewesen wäre. Gewiss, die Beurteilung des Russland-Ukraine-Konflikt scheint in der Zwischenzeit einfacher als die Beurteilung des Nahost-Konflikts. Es so zu sehen, wäre jedoch eher vordergründig. Denn noch ist längst nicht Alles zu Osteuropa gesagt. Dazu etwa, ob sich nicht – Parteinahme hin oder her – auch die Ukraine autokratisch entwickelt.

Das rechtfertigt niemals den Überfall Russlands auf das Nachbarland – es rechtfertigt die weiterhin notwendige, zugleich notwendig kritische Solidarität mit der Ukraine. Aber es gilt zugleich, gerade weil die Menschen in der Ukraine unter dem Krieg leiden, 1.) alle Hintergründe dieses Kriegs zu betrachten. Und 2.) genau vor diesen und ihren Folgen die Möglichkeiten für einen Frieden auszuloten. Und sich nicht allein in militärischen Strategien, die auf Sieg (oder seine Kehrseite: die Niederlage, welcher Seite auch immer) setzen, zu verfangen. Es wäre glaubwürdiger, nicht dem einen oder anderen Lager (Bellizisten oder naiven Pazifisten) zuzusprechen. Dafür allerdings stets abzuwägen, wie es gelingen könnte, der Eskalation entgegenzuwirken. Dem seine Stimme zu geben wäre dann einen Friedenspreis wert. Alles andere ist bei aller Schlögel-Ehre dann doch ein wenig profan.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Preis in eine Richtung vergeben worden wäre, die sich nicht lange danach als trügerisch erwies. Wenn schon Polarisierung und entsprechende Gewissheiten ein Argument gegen einen Preisträger wären, dann sind auch die lapidaren Erkenntnisse, die Karl Schlögel aus seinem schöpferischen Leben generiert, ein Ritt über den Bodensee. Auch wenn er zum Zeitpunkt der Preisvergabe mit seinen Erkenntnissen dem entspricht, was man unter westlichen Regierungen gerade gerne hört. Das war, wenn wir den „FAZ“-Beitrag noch einmal aufgreifen, auch beim Nahost-Konflikt der Fall. Dass sich der Westen seiner Linie und Haltung zu Israel anfangs sicher wie der berühmte Fels in der Brandung war. Diese Sicherheit ist in wenigen Monaten zusehends geschwunden. Aber dann, so mag man Trost finden, steht ja schon die nächste mit Spannung erwartete Preisvergabe an.

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