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Die Große Rentenlüge

Derzeit wabert in allen Parteien eine wilde Rentendiskussion. Aufgescheucht wurden Politiker jeglicher Couleur durch die alarmierende Kassenlage. Doch aus der Angst heraus, die Altersversorgung könnte morgen blank ziehen, wird nicht nur Adrenalin, sondern mithin eine Menge Unsinn ausgeschüttet. Der größte liegt in Vorschlägen, das Alter, in dem Menschen regulär in Rente gehen könnten, heraufzusetzen und allzu ambitionierten Frührenten-Gedanken von Beschäftigten einen Riegel vorzuschieben. Daneben kursieren in Politik und überbordenden Anzeigenkampagnen, in denen Geldvermehrungs“experten“ ihre Staubsaugergeschäfte feilbieten, was schon mit Blick auf die so genannte Riester-Rente gehörig in die Hosen gegangen ist: Märchen über lohnende private Altersvorsorge durch windige monetäre Anlagen. Wer’s dicke hat, kann sich sowas vielleicht leisten. Der Mensch, der jahrelang gearbeitet, nicht sonderlich viel verdient hat und keine Luft für nennenswerte Rücklagen, sollte die Finger davon lassen.

Lassen wir die Altersvorsorge mal außen vor, bleibt die Frage nach einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Für die ja auch die Arbeitgeber die Trommel rühren. Es sind freilich die gleichen Arbeitgeber, die, wenn Beschäftigte für ein Weiterarbeiten übers Renteneintrittsalter hinaus an die Tür klopfen, die Tür nicht mal einen spaltbreit öffnen. In vielen Fällen, den meisten, sind Arbeitgebern die Bittsteller zu alt und vor allem zu teuer. Abgesehen davon, dass viele Branchen wegen prekären Auftragslagen und „Dank“ KI ihr Personaltableau schmälern und schmal halten. Man wisse ja nicht, was morgen kommt. Erfahrung wird immer als herausragender Pluspunkt ins Spiel gebracht. Doch Erfahrung ist etwas, was weithin nicht sonderlich geschätzt wird. Weil sie von Arbeitgebern nicht selten mit dem Vorwurf verbunden wird, sich neuen Ideen in den Weg zu stellen. Vor allem, wenn diese „tollen“ Ideen mit einem perspektivischen Personalabbau einhergehen. Was „den Alten“ aus guten Gründen nicht gefällt.

Lieber ist es den Arbeitgebern, auf junge Mitarbeiter zuzugreifen, die sich mit Popel-Bezahlungen zufrieden geben. Angst haben, wenn sie es nicht tun, gefeuert zu werden. Für die Betriebsräte zur Wahrung oder auch zur Verteidigung von Arbeitnehmerrechten ein Fremdwort sind. Und die im besten Fall helfen, ihren Arbeitgeber auf TikTok heilig zu sprechen. Das mag übertrieben klingen. So übertrieben ist es nicht. Deswegen wundert es schon, dass nun auch Die Linke in Gestalt ihrer Vorsitzenden Ines Schwerdtner sich Gedanken zu einem späteren Renteneintritt öffnet, auch wenn es aus ihrer Sicht nicht auf „die 70“ hinauslaufen dürfe. Soweit zu der, ich sage mal, ethischen Debatte. Allerdings macht ein höheres Rentenalter auch rechnerisch wenig Sinn. Denn für den, der „oben“ länger arbeitet, dürfte „unten“ niemand nachrücken. Stattdessen wird jungen Menschen der oft knappe Arbeitsmarkt verbaut. Mit der Folge, dass sie der Staat alimentieren muss, keine Rentenbeiträge fließen. Also alles eine Milchmädchenrechnung.

Die Bundesagentur für Arbeit hat mehrfach Zahlen zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt veröffentlicht. Demnach werden gerade immer mehr Menschen arbeitslos. Unternehmen bauen Beschäftigung ab. Verzichten auf die Verlängerung befristeter Verträge. Häufig kommt es zu betriebsbedingten Kündigungen. Wer arbeitslos wird, hat es schwer, einen neuen Job zu finden. Die Wirtschaftslage, national und in der Welt, lässt nicht hoffen, dass sich das ändert. Das wiederum verspricht im Groben, dass es weder Sinn macht, die Rentenkassen durch Fantasien von einem späteren Renteneintrittsalter imaginär aufzupäppeln. Noch wird das Problem durch Zuversicht gelöst werden können, dass „die Jungen“ es schon irgendwie richten werden. Hinzu kommt ein Mangel an Fachkräften, der etwa durch den strengen Migrationskurs auch nicht aufgefangen wird. Sowie Schwierigkeiten, junge Menschen überhaupt in ein Berufsleben einzufädeln, wie allenthalben konstatiert wird. Im Grunde hapert es „oben“ wie „unten“.

Vorschläge in Richtung Erhöhung des Renteneintrittsalter entstammen mithin dem Think-Tank „Flickschusterei“. Und brächten, selbst wenn sie umgesetzt werden könnten (wofür es auf Arbeitgeberseite theoretisch Bereitschaft gibt, wenn ernst wird, wohl kaum), nur eine sehr kurzfristige Entlastung. Aber so ist die Politik. Sie schielt auf möglichst rasche Erfolge, gewonnen aus Augenwischerei. Und entgeht somit der Frage, wie sich die Wirtschaft, die Arbeits- und Sozialwelt vor allem volkswirtschaftlich auf lange Sicht stabilisieren lassen kann. Die Frage wird immer wieder neu hyperventiliert. Um sie alsdann in „Ablege P“ zu stecken. Dass alles mit allem zusammenhängt, auch mit Bildung, Ausbildung, Gesundheit und anderen gesellschaftlichen Feldern, wird ausgeklammert. Jedenfalls gibt es keine Modelle aus einem Guss, die überzeugend eine drängende Antwort darauf bieten, wie Renten-, aber auch etwa das Gesundheitssystem auf feste und zukunftsfähige Fundamente gestellt werden könnten.

Insofern ist es erstmal richtig, wenn Reformen des Rentensystems, die lediglich auf eine kurzfristige Entlastung zu Lasten der älteren Menschen hinauslaufen, eine Absage erteilt wird. Und wenn beispielsweise Die Linke, aber auch Teile der SPD darauf pochen, das Rentensystem grundlegend zu verändern. Dass alle, die in und mit der Gesellschaft Geld verdienen, in die Rentenkasse einzahlen müssen, ist ein bedingungsloses „Must“. Bis hin zu den Abgeordneten des Bundestags. Dass zudem Bildung, Ausbildung und beispielsweise Migration, die Arbeitsaufnahme durch Migranten, die offensive Anwerbung und Respektierung ausländischer Fachkräfte mit eingebunden gehören, ist nötiger Ansatz, will man das Renten“problem“ langfristig in den Griff bekommen. Wird die Kassenlage bei Renten, aber auch hinsichtlich des Gesundheitssytsems nicht ganzheitlich betrachtet, wird es weiter auf das Stopfen von Löchern, auch mit unsinnigsten Vorschlägen hinauslaufen. Und auf stets weitere unsinnige Ideen.

Es würde freilich nicht wundern, wenn genau das Springen von einem zum nächsten Unsinn, von einem zum nächsten Provisorium weiter Kern der Regierungspolitik bliebe. Und fortgesetzt würde, was wir an nicht nur finanzpolitischem, sondern leider auch an gesellschaftlich desaströsem Dilettantismus kennen. Und damit die soziale Seite gesellschaftlichen Zusammenhalts aushöhlten. Mit politischen Konsequenzen. Denn auf diesen Dilettantismus setzen rechtspopulistische Kräfte, allen voran die AfD. Um mit ihrer Kritik ihre Idee von einem autoritären Staat weiterzuverfolgen. Einem Staat, der angeblich regelt, was nicht geregelt wurde. Unter Vorspiegelung konsequenter Lösungsszenarien werden dann, davon darf man ausgehen, Demokratie und Rechtsstaat einem Autoritarismus preisgegeben, den wir im Westen aus den USA und aus anderen europäischen Ländern wie Ungarn kennen. Es würde eine Machtfrage nach AfD-Gusto geklärt, sozialpolitisch gelöst würde allerdings rein gar nichts.

Umso wichtiger ist es, der Stückwerk-Politik der regierenden schwarz-roten Koalition ein umfassendes gesellschafts- und sozialpolitisches Konzept entgegenzustellen. Eines, dass nicht auf kurzfristige finanzielle Luft etwa der Sozialkassen setzt. Und mit milliardenschweren Sondervermögen einerseits Geld für Rüstungsausbau generiert, um auf der sozialen, aber auch kulturellen Seite den Ausverkauf zu betreiben. Die Hilferufe nach bezahlbaren Wohnungen, dem Behalt einer vielfältigen und staatlich geförderten diversen Kultur, nach gutem Altersauskommen statt Altersarmut, nach ausreichender gesundheitlicher Versorgung in Stadt und Land, nach einem exzellent fundamentierten Bildungsbetrieb und einer in jeder Hinsicht und überall funktionierenden Infrastruktur sind kein deutscher Jammerchor. Sondern berechtigte Mahnung, es mit dem Grundgesetz ernst zu nehmen.

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