Ich schaue auf Frankreich. Dort hat ist die Regierung Bayrou via Vertrauensfrage gescheitert. Flankiert wird der Abgesang von Widerstand. „Komplette Stilllegung“ des öffentlichen Lebens, so die Botschaft. 70 Prozent der Bevölkerung sind nach Umfragen dafür, 26 Prozent dagegen. Wut und Unzufriedenheit sind groß. Die sozialen Verhältnisse unerträglich. Mehr Kaufkraft, direkte Demokratie. Das sind Pfeiler, die der Protest in französischen Boden rammen soll. Die Verzichtspolitik der bisherigen Regierung geht den Menschen gehörig auf den Nerv. Die Protest-Initiative ist allerdings wegen zweifelhafter politischer Färbung umstritten. Kritik kommt dieser Tage in einem Beitrag von Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit in der „taz“. Gleichwohl sind linke Gruppen aufgesprungen, die großen Gewerkschaften allerdings noch nicht. Das könnte aber noch kommen.
Grundsätzlich ist es den Gewerkschaften in Frankreich nicht untersagt, sich in die Politik einzumischen. Widerstand zu organisieren. Auch den Generalstreik auszurufen. Und hier, in Deutschland? Selbst wenn die Regierung Merz-Klingbeil derzeit das Land auf immer heftigere sozialpolitische Einschnitte polt, sind Gewerkschaften die Hände gebunden. Ein Streikrecht ist in Artikel 9, Absatz 3 verankert. Allerdings nur mit Blick auf im weiteren Sinne tarifpolitische Auseinandersetzungen. Nicht aber wenn Streiks politische Ziele verfolgen. Klartext: Generalstreiks, die die Politik grundsätzlich angreifen, sind, anders als in Frankreich, nicht vom deutschen Streikrecht gedeckt. Immer wieder gab es darüber politische und rechtliche Auseinandersetzungen. Mit konservativen Kräften ebenso wie ehedem mit westlichen Allierten. Den Gewerkschaften wurden dabei stets Grenzen gesetzt.
Aber müssen sich das die Gewerkschaften in Deutschland deswegen bis zum „Sankt Nimmerleinstag“ gefallen lassen? Was muss eigentlich hierzulande noch passieren, damit die Gewerkschaften, allen voran ihr Dachverband, gegen die „traditionelle“ Beschneidung ihrer politischen Möglichkeiten angehen? Während die schwarz-rote Regierung Milliardenschulden aufnimmt, um Rüstung und nötige Infrastrukturen auf Vordermann zu bringen, wird das Sozialsystem von Union und SPD weiter ausgehöhlt. Die Kassenlage dort, wo es die Menschen besonders direkt betrifft, ist insolvenzträchtig. Milliarden müssten irgendwo her aus den Tresoren der Republik entnommen, Schulden gemacht – oder aber das System komplett umgebaut werden. Wenn nichts passiert, wird der Leistungsabbau, schon von Merz&Konsorten bedrohlich skiziiert, dramatischer als heute schon.
Der solidarische Zusammenhalt der Gesellschaft, der angesichts der Lage von Regierungsseite eingefordert wird, ist Augenwischerei. Denn dieser Zusammenhalt muss gar nicht eingefordert werden, er existiert bereits, allerdings auf trügerische Weise. Denn unfreiwillig, so darf man sagen, werden seit Jahrzehnten die Portemonnaies weniger betuchter Schichten geplündert. Zu Gunsten der Besser- und Bestverdienenden, der Unternehmen; also all derer, deren Beitrag zum bestehenden Zusammenhalt vergleichsweise gering ist. In jedem Falle längst nicht so groß, wie er sein könnte, ohne diese Klientel, die da seit jeher gepudert wird, in die Armut zu treiben. Doch Regierungen, welcher Couleur auch immer, lassen sich weiterhin einschüchtern (sofern dies notwendig ist). Von den Lobbyisten der Konzerne, von Großverdienern und Großkotzen. Die Lobby der „Kleinen“ dagegen: marginal.
Um so verwunderlicher ist es, dass die, die die Interessen derer, die immer mehr unter dem unerträglichen so genannten Reformkurs leiden, den Regierungen einschlagen, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen (und das tun sie ständig), nicht lautstark die notwendige Debatte um ihre Rechte führen: Die Gewerkschaften, allen voran ihr Dachverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund. Die Zeit ist – wenn nicht heute, wann dann? – längst reif für Massenproteste auf den Straßen. Gegen die weitere Aushöhlung gesellschaftlich-sozialer Fundamente. Gegen die damit verbundene Aushöhlung des Grundgesetzartikels 1, Absatz 1, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Längst wird sie nicht nur angetastet, sondern auf breiter Front durch Sozialabbau bis zum Gehtnichtmehr torpediert. Dass Gewerkschaften dagegen nicht generalstabmäßig zu Felde ziehen können, ein Unding.
Es geht bei der Vertretung von Arbeitnehmerrechten längst nicht mehr nur um Einkommensfragen (inkl. Mindestlöhne etc.), tarifrechtliche Finessen, den wie auch immer gearteten Schutz von Beschäftigten in den Betrieben Mitbestimmung etc.). Es geht, wie es so treffend heißt, ums Große und Ganze. Es kann nicht sein, dass die Arbeitgeberverbände durch intensiven Lobbyismus die Regierungen auf ihren Kurs einschwören – und sie, ohnehin paralysiert durch Abschwungsszenarien leicht auf ihre bilanz- und damit gewinnorientierte politische Agenda ziehen. Während sich die Gewerkschaften ohne zu Murren in der politischen Defensive bescheiden. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass gesetzliche Grenzen durch veränderte Umstände gesprengt werden. Die Regierung tut es, wo es ihr nötig scheint, das sollte die Gewerkschaften anspornen, ihrerseits mehr Rechte einzufordern.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie vor Jahrzehnten einmal die damalige ÖTV mit Forderungen von mehr als 10 % in den Tarifstreit gegangen ist. Das war in „guten Zeiten“. In heutigen Zeiten haben die Gewerkschaften aus meiner Sicht nur eine Wahl: Entweder sie machen, weil sie das grundsätzlich dürfen, auf dem Weg tariflicher Auseinandersetzungen Druck, über drastisch höhere Einkommen dem sozialpolitischen Desaster entgegenzuwirken. Und lassen sich dabei weder von Scheinargumenten, sie würden dadurch den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, abwürgen. Noch durch den Hinweis, dass mit steigenden Einkommen auch die Abgaben stiegen – es bliebe unterm Strich dennoch mehr übrig. Oder sie gehen in die rechtliche Offensive und verlangen, endlich auch politisch streiken zu dürfen. Um den Arbeitegebern ebenbürdig zu werden.
Was nicht geht, ist, dass, wie dieser Tage, die Gewerkschaften dabei bleiben, mit eher dünner Stimme und in schwacher PR-Manier gegen die Politik einer Bundesregierung anzustinken, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Menschen im Land im zivilen Leben weiter auszusaugen, während den deutschen „Vaterlandsverteidigern“ in Uniform mit Milliarden auf die Sprünge geholfen werden soll. DGB-Chefin Yasmin Fahimi hat Leistungskürzungen in Zeitungsinterviews abgelehnt. Ebenso wie die Rentenvorschläge Arbeitgeber-naher Wirtschafts“experten“. Auch das Moppern gegen das Bürgergeld hält sie für „unseriös“. Dass sie sich dabei auf Neben“kriegs“-Diskussionen einlässt, die versuchen, das Bürgergeld über Missbrauchsszenarien zu diskreditieren, zeigt, wie schwach die Gewerkschaft sind. Stärke hieße, sich auf derlei, auch statistisch schmale Pfade gar nicht erst einzulassen.
Die sozialpolitische Debatten haben auf Betreiben der Regierungen, erst recht der von Union und – leider auch – SPD ein Niveau erreicht, dass ein Austausch von Argumenten von Seiten der Gewerkschaften dringend durch massenhafte Aktionen flankiert werden muss – bis hin zu Streiks, auch zum Generalstreik. Es gilt, sich diesbezüglich an dem, was Gewerkschaften in Nachbarländern dürfen, genutzt haben und nutzen, ein Beispiel zu nehmen. Der Druck, den die Politik immer unverfrorener auf die Menschen macht, verlangt nach mächtigem Gegendruck. Er darf nicht nur von zaghaften Sozialdemokraten und der Partei Die Linke kommen, oder von den Grünen. Allesamt Parteien, die prozentual der Union und der AfD derzeit nicht das Wasser reichen. Der Druck muss von einer breiten Öffentlichkeit kommen, die sich einen weiteren horrenden Sozialabbau nicht mehr gefallen lässt.

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