Geschichtswissenschaft, Filmförderung, Kunstbetrieb. Wohin man schaut, wird gerade eine Debatte darüber in Gang gesetzt, wie sich Wissenschaft und Kultur zu verhalten haben. In welchem politischen Kontext sie stehen. Wie Professuren, Ausstellungsflächen und nicht zuletzt auch Gelder zu vergeben sind. Zunächst einmal ist es kein Wunder, dass in Zeiten zunehmender Polarisierungen auch besagte gesellschaftliche Felder in den Strom oder gar den Sog zuspitzender Debatten geraten. Interessant ist freilich, wie sich in den Debatten Medien und Politik aufstellen. Wie sehr sich – unter dem Rubrikum der Ausgewogenheit – eine Linie breit macht, die davon ausgeht, dass es so etwas wie eine linke oder wenigstens linkslastige Vorherrschaft gibt. Und etwa in der Filmindustrie nicht ausreichend auf nationale, will hier heißen: deutsche (wirtschaftliche) Interessen geachtet wird.
So ist in der „FAZ“ dieser Tage ein Beitrag erschienen, der sich mit der Frage der deutschen Geschichtswissenschaft beschäftigt. Unter der Überschrift „Wird die Geschichtswissenschaft jetzt konservativ?“ wird das Fragezeichen im Laufe des Textes zum Ausrufezeichen gestreckt. Schon im Teaser steht: „Die einen fordern mehr Einsatz ‚gegen rechts‘, andere hoffen auf das Ende einer linksliberalen Hegemonie. Warum mehr Pluralität allen nützen würde“. Dahinter werden diverse Meinungen versammelt, die (zumindest vermeintlich) dem einen oder anderen Lager zuzurechnen sind. Anlass des Beitrags ist der bevorstehende „Historikertag“. Bei dem die Frage, wo heute die Geschichtswissenschaft steht, wohin sie treibt oder treiben sollte, „in vielen Diskussionen mitschwingen“ dürfte. Und wie sich und ob sich das auf die Wissenschaft hierzulande auswirken mag.
Schnell wird in dem Beitrag klar, wohin der Autor neigt. Wenn er schreibt: „Muss sie (die Geschichtswissenschaft, d. Blog-Autor) sich jetzt, da die Demokratie westlicher Prägung bedroht scheint, stärker ‚gegen rechts‘ engagieren? Oder sollte sie die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse zum Anlass nehmen, konservative Positionen besser zu integrieren?“ Das ist nicht, wie suggeriert wird, eine offene Fragestellung, sondern schon die Antwort. Denn es wird, so ist unschwer zu erkennen, impliziert, dass die Geschichtswissenschaft derzeit eher links ausgerichtet ist – und konservative Themen und Sichtweisen eher eine Randexistenz fristen, der endlich wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Weswegen sowohl inhaltlich wie in der Förderung mehr „Pluralität“ gegen einen „Pendelausschlag ins Extreme“ gesetzt wird. Ein nicht bloß semantischer Trick.
Dieser Trick, „Pluralität“ gegen ein angebliches „Extrem“ zu setzen, um – im Kern – dem Konservativen zu huldigen, steht hoch im Kurs. Unter dem Schleier von Pluralität, die nach liberaler Haltung klingt, während linksliberale Haltungen selbstverständlich extreme Haltungen darstellen, wird ein konservativ getarnter Kurs nach rechts gefahren. Unter dem Vorwand, es gehe ja nur darum, alle denkbaren Themen und Positionen abzubilden, wird Sichtweisen eine Bahn freigeschaufelt, die nach außen Balance spiegelt, nach innen aber Themen und Positionen Platz macht, die bisher – so betreffende Lesart – zu kurz gekommen seien. Das Zweifelhafte seien heute die „Modethemen“ (der „FAZ“-Autor). Gegenüber Themen wie „Nationen und Eliten“, Recht oder Militär. Offenbar wird: Was als Pluralitätsbemühen daherkommt, ist im Grunde durchaus restaurativ gemeint.
Das passt in die kulturkämpferische Agenda, der sich nicht nur AfD-Politiker*innen, sondern auch einflussreiche Kreise der Union verschrieben haben. Wonach es gilt, vor allem der vielbeschworenen Linkslastigkeit in Wissenschaft und Kultur den Garaus zu machen. Angeblich, um der Vielfalt der Meinungen eine Bresche zu schlagen. In Wirklichkeit geht es darum, die Schaufenster des „Ladens“ Bundesrepublik wieder mit mehr Devotionalien rechtskonservativer und rechter politischer Frömmigkeit zu „schmücken“. Der „FAZ“-Beitrag passt in seinem Tenor gut zu Vorstößen, die, immer wieder verstärkt, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer unternimmt. Etwa sein Ukas gegen das Gendern im eigenen Haus. Verbunden mit dem Appell an andere Institutionen, auch öffentlich-rechtliche und beispielsweise staatliche Museen, seiner Richtung in Schrift und Sprache zu folgen.
Auch ein Gesetz, das die deutsche Filmförderung auf deutschen Vordermann bringen soll, lässt sich hier einklinken. Weimers Plan: „Quid pro quo“, so noch einmal die „FAZ“. Die sich hier gerade zum Lautsprecher macht. „Etwas für etwas“, so aus dem lateinischen übersetzt, will Weimer Geld für deutsche Sender und Streamer an deren Verpflichtung knüpfen, pekuniäre Hilfe in wirtschaftliches Engagement am Filmstandort Deutschland zu stecken. Und zwar nicht in Form einer Selbstverpflichtung, sondern per Gesetz. Das klingt, wenn auch strikt ordnungspolitisch, erst einmal irgendwie nachvollziehbar. Weswegen die Filmwirtschaft auch jubelt. Dass Sender und Streamer nicht begeistert sind und sich in ihren Freiheiten eingeschränkt sähen, auch verständlich. Hinter allem freilich steckt ideologisches Weimer’sches Kalkül: Genau besehen, geht es um eine Spielart des Protektionismus.
Und damit Richtung dem, was sich mehr oder weniger subkutan im Land breit macht. In jeder Hinsicht sollen Wissenschaft und Kultur, die konservative Kräfte und ihre Ultras seit den 1960er Jahren in den Fängen eines linksliberalen oder linken Spektrums sehen, zurück in die Arme nationaler Befindlicheiten getrieben werden. Linksliberal und links steht ihnen, wo immer sichtbar, für eine Weltoffenheit, die sie scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Ob in der Migrationspolitik, in Wissenschaft, Kunst oder Kultur: es mangelt aus Sicht von Weimer&Co an patriotischer, streng konservativer Energie. Zuviel Gender-Firlefanz und Gaza-Solidarität, zuviel Barenboim-West-Eastern-Divan, zu wenig Wagner-Verbeugung. Insofern klafft in Sachen Kulturkampf bisweilen in Politik wie in Medien eine nicht sonderlich große Lücke zum Trump-Gebaren in den USA.
Wie sich Protagonisten wie Wolfram Weimer in dieser Hinsicht selbst sehen, mag man sich anhören. Aber ernst zu nehmen sind Beschwichtigungen, man agiere nur im Sinne einer Art Ur-Liberalität, also nicht aus nationalem Pathos und falschem Patriotismus, man sei demokratisch quasi unbefleckt und weit entfernt von kulturellem Law and Order, kaum. Zu sehr haben sich selbst Parteien, denen man es einst nie und nimmer zugetraut hätte, von verlässlich geglaubten Standpunkten entfernt. In der Migrationsdebatte, in Rüstungsfragen. Auch in kultureller Hinsicht. Als es etwa darum ging, ob angesichts des russischen Angriffskriegs Musiker*innen aus Russland auf deutschen Bühnen auftreten dürfen, fiel vieles Liberale über Bord. Auch in der Kunst und der Frage, wie sie zum Nahost-Konflikt steht. Wissenschaft und Kultur unterliegen längst zunehmender Gängelung.
Es ist eine Gängelung, die sich eben nicht gegen „Extreme“ richtet. Es ist eine Gängelung, die sich zu einem extremen Kulturkampf von konservativer und rechter Seite auftut. Die von Wissenschaft und Kultur bis hinüber in Bereiche der Sozialpolitik reicht. Die Diffamierungen, denen Kräfte ausgesetzt sind, die nichtmal weit links stehen müssen – es reicht, wenn sie konservativem Geist die Stirn bieten und entschieden den Sozialstaat verteidigen oder ihn zu etwas ausbauen wollen, das den Namen wirklich verdient -, sind omnipräsent. Und werden von Weimer über Bundestagspräsidentin Julia Klöckner bis zu Kanzler Friedrich Merz geradezu kultiviert. Meist in vornehme Gewänder gehüllt, wird doch immer wieder deutlich, wie es darunter ausschaut. Wenn es die Gefahr einer Hegemonie gibt, dann die Gefahr einer rechten Hegemonie. Sie schleicht sich wie Gift in die Gesellschaft ein.

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