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Verweigern Ist Jetzt!

Es war 1975. Ich hatte gerade mein Abitur gemacht. Und wollte auf keinen Fall eine Waffe jemals auch nur in die Hand nehmen. Zu einer Zeit, als, auch damals schon, Kriege zu nichts geführt haben. Außer zu tausenden Opfern und, später, friedlichen Kompromissen, die man auch früher hätte haben können. Wenn die, die da aufeinander losgingen, besser kalkuliert hätten. Militärisch, mit Material, Land – vor allem aber mit Menschen, die darauf und darin wohnten. Mit denen man eigentlich nicht „kalkulieren“ sollte. Auch nicht mit Menschen in Uniform. Deswegen mein Appell: Verweigert den „Dienst“ an der Waffe! Denn er ist kein VERdienst. Und es gibt auch nichts zu VERdienen. Nur Rüstungskonzerne machen mit Krieg Geld. Die meisten erleiden VERluste.

Irgendein schlaues Huhn, das glaubte, auch mal ein Körnchen zu finden, hat kürzlich nicht unweisen Männern wie Ole Nymoen vorgeworfen, aus ihrer strikten Haltung gegen den Krieg eine PR-Nummer zu machen. Männer – die Autorin erwähnte ausdrücklich das Geschlecht – wie er, würden von Talkshow zu Talkshow gereicht. Und mit ihnen ihr Rigorismus. Welcher nicht wirklich ernst genommen werden dürfe. Weil er nicht nur maskulin-blasiert daherkomme, sondern darüber hinaus reichlich naiv. Ich kann neben Männern auch Frauen, die ja in den Fokus unseres Verteidigungsministers Boris Pistorius geraten, nahelegen, es den PR-Pazifisten nachzutun. Und sich ähnlich konsequent gegen den „Dienst“ an der Waffe zu stellen. Nur keine falsche Scheu!

Jedenfalls landete ich 1975 dann, dank Überzeugung, bei der Hilfsorganisation „medico international“. Damals noch eine, und ich meine das nicht despektiertlich, Entwicklungshilfeklitsche. Inzwischen ist daraus eine große, kraftvolle NGO geworden. Die unterstützt und Farbe bekennt, wo es Not tut. Unter anderem mit Blick auf den genozidalen Krieg, den die israelische Regierung im Gaza“streifen“ führt. Es ist das erste Mal, dass ich den Begriff „Genozid“, hier als Adjektiv, benutze. Ich tue das, weil es inzwischen auch von mir geschätzte israelische Intellektuelle tun. Wie der Autor David Grossmann. Und weil dieser allemal schlauer ist, als eine niedersächsische Arbeitgruppen der Linken, die hierin einen untrüglichen Hinweis auf Antisemitismus sähe.

Denn „Genozid“, so die Arbeitsgruppe der Linken, deren Protest gegen einen Aufruf der Linkspartei zu einer Demo Ende September DER SPIEGEL weitertrug, dämonisiere den „jüdischen Staat“, in dem im Übrigen eine Menge Nicht-Juden/Jüdinnen wohnen, als „Völkermordstaat“. Und stelle damit zugleich das Existenzrecht Israels in Frage. Das tut der Aufruf nicht. Sondern übt Kritik. Sehr wohl schärfste. Das aber wird seit jeher, auch von Anti-Antisemiten in der Linken, gern zum Anlass genommen, den Bogen zum „israelbezogenen Antisemitismus“ zu schlagen. Mit dem man das mit dem Infragestellen des Existenzrechts Israels dann hinkriegt. Und am Ende seinen VERdienten Platz in der „Jüdischen Allgemeinen“ erhält, die das ganz genauso wie DIESE Linken sieht.

Ich erwähne die „Jüdische Allgemeine“, die – Geisel-solidarisch, wie sie bisher war – bisher kein Wort darüber verloren hat, dass der israelische Ministerpräsident Netanyahu jene Angehörigen, die vor seinem Haus gegen seine Politik (inklusive dem Vorgehen in Gaza) protestieren, als „wie Faschisten“ gebrandmarkt hat. Das zu berichten, wäre für ein Medium, das seinen Blick empathisch auf die Welt von Jüdinnen und Juden wirft, bemerkenswert gewesen. Nicht? Ich lese auch nichts davon, dass sich israelische Reservisten weigern, in einen Krieg zu ziehen, der längst die Grenze einer bloßen Fragwürdigkeit überschritten hat. Und in dem das Narrativ, wonach alles verbrecherische Vorgehen im Gaza“Streifen“ seinen tieferen Grund im Hamas-Terror hat, nicht erlischt.

Zigtausende Israelis sollen in den Krieg marschieren, der vermeintlich nur gegen die Hamas gerichtet ist, aber schon Zehntausende Zivilisten das Leben gekostet hat – und noch lebende Geiseln der Hamas das Leben kosten könnte. Deswegen sind Tausende Reservisten gegen den Krieg. Und gegen die Politik von Netanyahu. Gegenüber der „Tagesschau“ erklärte einer der Reservisten: „Ich wurde einberufen und soll nach Gaza gehen…(…)…das werde ich nicht, weil ich mein Leben riskiere. Ich bin ein freier Mensch“. Die Geiseln hätten keine Wahl. Er schon. Und er könne nicht einem Vorgehen zustimmen, bei dem weitere Geiseln geopfert würde. Er könne auch nicht die toten Palästinenser im Gaza“streifen“ ertragen. Was viele in der israelischen Bevölkerung so sehen.

Der Krieg, den Benjamin Netanyahu gegen die Hamas, mittlerweile in martialisch immer aufgeladeneren Tönen – bis hin zum „Faschismus“-Vorwürfe gegen Geisel-Familien – führt, er ist selbst in Israel immer schwerer als unvermeidbar zu vermitteln. Deswegen ist es umso bedeutender, zu erkennen, wie sich Menschen weigern, ihren Kopf für eine Vernichtungs- und Vertreibungsmaschine hinzuhalten. Und dem Respekt zu zollen. Deutlich wird an dem Beispiel auch, dass am Ende nur VERweigerung hilft, Krieg den Boden zu entziehen. Der Boden, das sind vor allem jene, die sich an der Waffe VERdient machen (sollen). Von deren Haltung es abhängt, ob eine Rechnung aufgeht, die keine Lösung, sondern nur neue Opfer zeitigt – auf allen Seiten.

VERweigerung und die strikte Weigerung, dem Krieg dienlich zu sein, ist quasi die Ultima Ratio. Die Vernunft, die angeblich vernünftigem Angriff und ebenso angeblich vernünftiger Gegenwehr jedes VERständnis entzieht. Dieser Vernunft zu Tragfähigkeit zu verhelfen, bevor ohnehin, an welchem Punkt von Krieg man jemals angekommen sein mag, notwendige Kompromisse geschmiedet werden müssen, vielleicht sogar solche mit belastbarer Zukunft, muss Priorität haben. Deswegen ist es, PR hin oder her, mehr als VERdienstvoll, sich dem Ansinnen des eigenen Staates zu VERweigern, seinen häufig militaristisch-obskuren und politisch fragwürdigen Kurs per Dienst an der Waffe mitzutragen. Ob es das verbrieft Recht Betroffener ist, sei dahin gestellt.

Es ist allerdings das letzte Mittel, um der eigenen Haltung spürbar Ausdruck zu VERleihen. Das haben die Reservisten erkannt, die sich nicht für Netanyahus Krieg hergeben wollen. Das erkennen Ukrainer, die die Flucht vor dem Krieg ergreifen. Das erkennt ein Ole Nymoen. Das erkennen andere, die sich nicht vom Gedanken unausweichlicher Verteidigung der Demokratie durch Waffen einlullen lassen. Und es wäre gut, wenn das auch in Russland die Menschen erkennen würden, die sich murrelos für die völkerrechtswidrige Aggression von Wladimir Putin einspannen lassen. „Nie wieder ist jetzt!“ ist ein Appell, der weit über ein Nein zur Neuauflage deutschen Faschismus‘ herausragt. Er geht an Alle, die Krieg für die schlechteste aller „Lösungen“ halten.

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