Der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU im Bundestag, Jens Spahn, ein Opfer: So hätte es der Herr gern. „Mörder, Mörder“ rufe man ihm, dem armen Kerl, in Gedenken an Corona-Pandemie-Zeiten hinterher. Damals hat er sich resp dem Staat, quasi zum Trost, mal ein paar verunglückte, Milliarden teure Masken-Geschäfte gegönnt. Half nichts. Bis heute leidet nicht der Staat unter der Last der Maskenaffäre. Sondern er, Spahn, unter einem schweren Trauma. Dass dies auch dran schuld ist, dass er sich dann, was die AfD betrifft, schmerzhaft zwar, aber doch nicht mit größtem Widerwillen, nach rechts öffnet, ist nicht bewiesen. Aber könnte ja sein. So eine schwere Ära als Gesundheitsminister, die wirkt nach. Die Mühen schwarz-roter Täler braucht man da nicht. Irgendwann muss doch im Land mal was wie geschmiert laufen können für den gepeinigten Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn.
Neue Zahlen aus Sachsen-Anhalt könnten bei manchen Unionsmitgliedern die Hoffnung antreiben, dass mitte-rechts demnächst was geht. 39 Prozent hat die AfD in der jüngsten Wahlumfrage für das Bundesland abgesahnt. Eine absolute Mehrheit könnte, so wird von den einen ersehnt, von anderen befürchtet, nicht ausgeschlossen sein. Was hieße: dann stünde Deutschland das erste Mal ein Ministerpräsident ins Haus, der einer als gesichert rechtsextrem geltenden Partei angehört. Das hat die Republik nun davon, dass sie die Frage eines AfD-Verbots seit Jahren vor sich herschiebt. Immer mit dem Verweis, dass damit ja das rechte Gedankengut nicht aus den Köpfen der AfD-Anhänger verschwände. Da freilich haben die Zweifler recht. Man mag sich gar nicht ausmalen, was, ja: besonders im Osten alles stattfände, wenn man den Rechten nicht endlich ihre blaubraune Machtübernahme ließe.
Was blaubraune Macht bedeutet, ein Blick „über den Teich“- oder ist das zu viel der Ehre für die AfD? – verrät es. Dort wacht US-Präsident Donald Trump jeden Tag mit ganz und gar menschenfreundlichen Gefühlen auf: „Ich liebe den Geruch von Abschiebungen am Morgen“, ließ über „Truth Social“ kürzlich wissen. Entsprechend mit seinem Konterfei bebildert, versteht sich. Er, Trump, als Rächer aller rechter Kraft Enterbten. Seine Nase steht dabei im Wind eines alten Film-Zitats: „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen“, hieß es in „Apocalypse Now“, wonach Colonel Kilgore dem Präsidenten, Jahrzehnte später, offenbar Pate stand. Im Hintergrund des „Social“-Posts a la Trump sieht man denn auch grellen Feuerschein. Der Gouverneur von Illinois, JB Pritzker, von den Demokraten hatte dazu auf „X“ den einzig denkbaren Kommentar: „Das ist nicht normal“. Bingo!
So richtig klar bei Kasse, meinten einige, die die immer wieder neu aufflammenden Debatten um links und rechts begleiten, sei auch Jens Jessen nicht. Oder vielleicht doch. Jedenfalls im Sinne der „Zeit“. Manche argwöhnen ziemlich offen, das Medium aus Hamburg rücke sukzessive in einer, sagen wir mal, seiner offen liberalen Tradition nicht gerade sonderlich eng verbundenen Haltung nach rechts. Jedenfalls gibt es, auch aus meiner Sicht, genügend Gründe, die Theorie von Jessen, wonach die Linke eine wesentliche Schuld am Erstarken der Rechten treffe, in Grund und Boden zu stampfen. Am vorzüglichsten hat dies Georg Seeßlen im „Freitag“ getan. In dem er den Jessen-Vorwürfen, die Linke (und damit meinte er Alle links der Union) habe mit elitärer Rechthaberei, „cancel culture“ und Moral-Eifer das AfD-Lager kräftig aufgefüllt, den einzig adäquaten Stempel aufdrückte: Totalausfall!.
Ein Totalausfall, das wird immer offensichtlicher, war auch – fast schon eine Milleniumsreise zurückliegend – das Alaska-Treffen des US-Präsidenten mit seinem russischen Autokraten-Gspusi. Nichts, rein gar nichts, ist von all den Hoffnungen übrig, die erst Genannter schürte, ihm friedenspolitisch Gewogene nachgeplappert haben – der Herrscher im Kreml freilich, kaum wieder zuhause, hat verpuffen lassen. Aus der Traum vom Friedensnobelpreis! Christoph Butterwegge, Politologe und bislang vor allem als „Armutsforscher“ in deutschen Debatten hervorgetreten, hat sich, in Erinnerung an alte Tage, im „Freitag“ mal ausnahmsweise der Friedensfrage zugewandt. Und dort vor allem der Frage, wer hat Angst vor wem zu haben. Sein Rückgriff auf Geschichte muss man nicht in allen Punkten teilen, aber er ist schon lesenswert. Weil er schonungslos gegen den Strich bürstet.
Es ist ein langer Beitrag Butterwegges, weswegen ich es mir erspare, jedes Detail abzubilden. Und manchem mag es so vorkommen, als wolle hier jemand die aggressive Machtpolitik, die auch ich Putin vorwerfe, vollends enttschärfen. Aber es ist schon bemerkenswert, wie Butterwegge im Rückgriff auf Geschichte mal aneinanderreiht, wie massiv etwa der militärische Aufmarsch der USA in West-Euopa ist, mit allem Ramstein-haften Drum und Dran, und wie wenig sich vergleichsweise Bedrohungslinien von Russland aus an das östliche West-Europa schieben. Und das ausgerechnet dann, wenn westliche Demokratien auf Grund ihrer sozialen Fragilität in die Knie zu gehen drohen, auf Aufrüstung gesetzt wird. Vielleicht, so könnte man zynisch meinen, kommt „dem Westen“ ja der hartnäckige Verweis auf Bedrohungen aus Russland gerade recht, um vom eigenen Schlamassel ablenken zu können.
Arg an den Haaren herbeigezogen? Ach ja? Ich habe dieser Tage einen geradezu ausgezeichneten Film über die „Barschel-Affäre“ gesehen. Einen Zweiteiler in der ARD. „Der Fall Barschel“, ein „deutsches Watergate an der Waterkant“, so kündigte Das Erste das Doku-Drama um den ehemaligen schleswig-holsteinischen MP Uwe Barschel an, der – so weiterhin ANGEBLICH, aber nie bewiesen – Suizid in einem Genfer Hotel beging. Ein Politthriller, eine Mischung aus tatsächlichen Handlungen und fantastischen Weiterungen. Als der Abspann lief, musste ich durchatmen. Denn die Kolportage um den Tod Barschels war auf eine Weise überzeugend dargestellt, dass Grenzen zwischen Realität und Mutmaßungen kaum mehr erkennbar waren. Und genau das war meine Erkenntnis: Dass zwischen Indizien und Beweise oft nicht einmal ein dünnes Blatt Papier passt.
Man muss ergo nicht mal im Entferntesten Putin-Freund sein, um zu erkennen, dass der Feind nicht nur tiefer im Osten steht und wilde Großmacht-Visionen aufblühen lässt. Der andere Dummkopf steht weit im Westen und ist mit seinen Morgen-Sprüchen allemal ebenbürdig. Raketen auf die Ukraine und der „Geruch von Abschiebungen“ (in Anlehnung an den „Geruch von Napalm“) sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und dumm genug ist, wer glaubt, sich auf die eine oder andere Seite schlagen und ihr nur ansatzweise Vorschusslorbeeren-artig vertrauen zu müssen. Das, was bis Anfang der 1990er Jahre „Frieden durch Abschreckung“ hieß, heißt jetzt „Aussichtslosigkeit durch Aufrüstung“. Und da steht keine Seite der anderen in irgendetwas nach. Auch die Geisteszustände lassen sich allemal vergleichen. Ohne dass man irgendwem irgendwie irgendwo zu nahe träte.
Will heißen: Die Barschel-Doku, die den „Fall Barschel“ im Kontext zwielichtiger Waffengeschäfte der Bundesrepublik betrachtete, ist ebenso wenig weit hergeholt, wie ein Szenarium, wonach der Russland-Überfall auf die Ukraine manch rüstungspolitischen Ambitionen inklusive westlichem Macht-Expansionismus und Ablenkung von eigenen desaströsen Schwingungen wie gerufen kommt. Das ist keine Verschwörungstheorie nach Wagenknecht’schem Strickmuster, das der Reinwaschung Putins gilt. Das ist aber auch nicht weniger als das Philosophieren darüber, dass perfides Kalkül nicht allein in Russland beheimatet sein muss. Der Westen hat in seiner Historie davon Zeugnis abgelegt, dass er in Sachen Widerwärtigkeiten mitsamt Vernichtungspotenzial anderen Systemen die Stange halten kann. Holocaust und Napalm sind da nur zwei von vielen möglichen Stichworten.

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