Das Landgericht Arnsberg hat die Durchsuchung und Beschlagnahme von Laptop, Handy und Notizbüchern der 17jährigen Juso-Chefin von Menden für rechtswidrig erklärt. Menden liegt im Sauerland. Dort hatte im Januar der damalige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz einen Auftritt als (noch) Kanzler-Kandidat. An der Schützenhalle, in die es ihn wahlkampfmäßig verschlagen hatte, prangten Graffitis wie „Merz aufs Maul“. Dass jemand die Juso-Chefin der Schmierereien verdächtigte, sei ohne Grundlage gewesen, urteilte nun, auf Beschwerde der Beschuldigten, das Landgericht. Und monierte, dass die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zudem nicht aktenkundig gemacht habe. Obschon der ganzen Sache jetzt von rechtswegen der Boden entzogen wurde, bleiben die Strafverfolger bei ihrem Tatverdacht. Das müssen sie auch, wenn man hinter die Kulissen schaut.
Denn den Vorhang der Angelegenheit ein bisschen beiseite geschoben, tut sich allerlei Zweifelhaftes auf. So ist die Direktorin des Amtsgerichts Arnsberg, das die Durchsuchung in Gang gesetzt hatte, keine Geringere als die CDU-Chef-Gattin Charlotte Merz. Und ein Polizist, der dabei war, CDU-Mitglied; so berichten Medien. Und es gibt weitere Fragwürdigkeiten, die im Zuge der juristischen Aufarbeitung an den Tag treten. Frau Merz will von all dem erst kürzlich erfahren haben. Für wie dumm wird die Öffentlichkeit eigentlich gehalten, dass sie glaubt, alles sei in diesem „Fall“ um die minderjährige Juso-Chefin, die kurz vor dem Abitur stand, ordentlich zugegangen? Und so wundert es nicht, dass jetzt heftige Kritik an dem Vorgehen laut wird. Mag ja sein, dass Deutschland in Sachen Bildung nicht immer ohne weiteres gut abschneidet. Aber eins und eins zusammenzählen, das sollte irgendwie gehen.
Eins und eins zusammenzählen, das lässt sich auch am Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten Söder, seines Zeichens CSU-Mitglied, bei der diesjährigen Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München ablesen. Nach dem bekannt-berüchtigen Motto „Wes Brot ich fress, des Lied ich sing“, zog Söder, mal wieder, so richtig nach süddeutscher Gutsherrenart vom Leder. Der Mann, in dessen Freistaat etwa BMW produziert, stellte 1) fest, dass Deutschland wieder mehr industrielle Basis brauche. Und fügte 2) an:, dass Deutschland „ohne Auto, Maschinenbau und Chemie (…) eine Dame ohne Unterleib“ sei. Damit freilich trat er einer gewissen Antonia Matt unschön nahe, die, ohne untere Gliedmaßen (Amelie) geboren, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts als „Half Lady“ weltweit zur Schau gestellt wurde. Auch, wie bei Wikipedia weiter nachzulesen ist, auf dem beliebten Münchner Oktoberfest.
Vom Auto (im weitesten Sinne) zur Bahn. Eigentlich sollten bis zum Jahr 2031, so berichtet „tagesschau.de“, mehr als 40 stark genutzte Strecken saniert werden. Nun komme raus, dass die Sanierung der letzten Strecke Flensburg-Hamburg erst 2036 erfolgen könne. Abgesehen davon, dass aus Sicht des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) „die neue Reihung der Generalsanierung (…) ein richtiger Schritt, aber kein Befreiungsschlag“ sei, empfinde ich den Zeitplan der Bahn auch als persönliche Demütigung. Denn nun kann ich Flensburg-Hamburg (oder umgekehrt) nicht mit über 75, sondern vermutlich erst mit über 80 Jahren saniert genießen. Wenn die Strecke also dann, so nicht neue Hürden im Weg stehen, erneuert wird oder ist, dafür ich aber maroder geworden (oder schon abgetreten) bin. Auch hier darf und muss ich bitter feststellen: Auf die Bahn ist nie und nimmer irgendwie Verlass.
Verlass ist allerdings – ich weiß: ziemlich holpriger Übergang, dennoch – auf Israels Miniserpräsidenten Netanyahu und sein offensichtlich gestörtes Verhältnis zum Völkerrecht. Sein Angriff auf ein angebliches Hamas-Nest in Doha (Katar), ist das neue mehr als streitbare Paradestück. Was in Gaza geht, geht aus seiner Sicht auch auf der Halbinsel am Persischen Golf. Scheiß drauf, dass gerade Katar sich immer wieder bemüht, so etwas wie eine Waffenruhe zwischen der palästinensischen Terror-Organisation und der nicht minder gewaltvollen rechten Regierung in Israel hinzubekommen. In die Karten spielte dabei auch das widerliche Attentat in Jerusalem mit etlichen Toten. Nur den USA, die mit Katar wo etwas wie amerikanisch-arabische Freundschaft pflegt, kommt der Angriff in Doha nicht wirklich zu Pass. Weshalb Donald Trump auch „not amused“ ist. Auch andere westliche Staaten sind es nicht.
Denn einfacher wird es damit nicht, aus dem – sorry – Schlamassel im Nahen Osten zu finden. Mehr als ein „ich bedauere“ ist freilich aus dem US-Präsidenten (und anderen) nicht herauszubekommen. Man will, so scheint es, weiter die Waage halten zu den Ungeheuerlichkeiten, die sich zwischen Israel, Gaza/Westjordanland und dem Rest der Region auftun. Auch in Europa tut man sich nach wie vor schwer, eine halbwegs einheitliche Position zu beziehen. Spanien, Frankreich, die EU, Bundesaußenminister Wadephul: Es ist ein einziges Lavieren. Solange dies so bleibt, dürfte freilich Netanyahu munter weiter seinen fatalen Machtkurs durchziehen. Mit dem dann auch alle noch irgendwie möglichen Wege, den Konflikt zunächst zu zähmen, dann daraus einen Plan für eine Allen erträgliche Zukunft zu entwickeln. Für Völkerrechtsbruch gibt es keine Waage und kein Aufwiegen.
Lavieren ist denn auch das Stichwort für eine neue mehr als unglückliche PR der Öffentlich-Rechtlichen. Anja Reschke hatte im namensgleichen TV-Format den von ihrer Kollegin (ja, leider!) auf billigen Populismus gebürsteten Sendespaß „Klar“ attestiert, doch irgendwie „ein bisschen rechtsextrem“ zu sein. Das sahen auch andere in der ARD irgendwie so oder ähnlich. „Kolleginnenvernichtung“, war denn das Urteil des stets auf ÖR-Lauer liegenden „FAZ“-Medienblauhelms Michael Handfeld. Der nochmal nachlegte, als der NDR versuchte, der „Klar“-Moderatorin Julia Ruhs, ihres Zeichens Fachfrau für Migranten-Bashing, beizuspringen. Und Reschkes Kommentar als Teil „satirischer Zuspitzung“ zu entschärfen. Hanfeld: Man verkaufe das Publikum wohl für ein bisschen dumm. Da muss ich ihm, der bisweilen zu offen verbaler Militanz gegen die ÖR neigt, ausnahmsweise ein bisschen Recht geben.
Die ARD hätte auch SO reagieren können: Alles, was Julia Ruhs da produziert, sei natürlich streitbar. Und es werde, wie man sähe, auch darüber gestritten. Was wiederum zeige, dass im ÖR alles Mögliche möglich sei. Und dass man sich, wenn man sich „Klar“ erlaube, erlaube, auch den Widerspruch zu erlauben. Also so einen offenen Umgang mit Streitthemen. Auch ich halte „Klar“ nicht nur für „ein bisschen rechtsextrem“, sondern inhaltlich für voll auf AfD-Kurs. Und Julia Ruhs hat mit ihren bisherigen Einlassungen durchaus erkennen lassen, dass sie sich für ihre zur Schau getragenen Haltung nicht mal schämt. Und gesagt, dass man ja auch mal sagen können müsse, was sie sage; auch das klingt ausgesprochen BLAU-äugig. So BLAU wie die AfD-Plakate. Aber wenn deswegen eine Debatte auch innerhalb der ARD in Gang kommt, dann sollte man wenigsten dazu stehen. Und nicht wieder abwiegeln.
Von Medien zur Kultur und zum so genannten“Kulturkampf“. Der wurde dieser Tage wieder durch verschiedene Ein- und Ausladungen angeheizt. Ausgeladen wurden vom „Flanders Festival“ die Münchner Philharmoniker unter ihrem israelischen Dirigenten Lahav Shani. Ihm wird mangelnde Klarheit bezüglich des heimatlandigen Vorgehens in Gaza vorgeworfen. Schande, tönt es aus Deutschland. Blanker Antisemitismus, so Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. Zugleich wird in London ein Fass aufgemacht, weil Star-Sopranistin Anna Netrebko dort singt. Sie sei, so heißt es, Teil russischer Propaganda. Ich halte nicht sonderlich viel davon, Kulturschaffende zu boykottieren oder anzufeinden. Sofern sie nicht Menschenrechtsverbrechen, Verstöße gegen das Völkerrecht, kriegerische Aggression und/oder Völkermord gutheißen. Ein Pass allein ist kein Grund, über die Kunstwelt herzufallen.
Dass Kunst und Kultur gleichwohl ins Feuer politischer Auseinandersetzungen geraten, kann freilich die Debatte darüber, wieviel Politik Kunst und Kultur vertragen, nur beleben. Kunst und Kultur nehmen ja bisweilen selbst für sich in Anspruch, politisch zu sein, sein zu wollen. Insofern kann Haltung hier und da nicht schaden. Gerade mit Blick auf den Kreml. Und gerade mit Blick auf jedweden Demokratie- und völkerrechtsbeugenden Ausverkauf durch den israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu. Der seinen expansiven Kurs ungeachtet immer massiverer Proteste, auch westlicher Staaten, weiterfährt. Und einem Palästinenserstaat gerade eine aus seiner Sicht endgültige Absage erteilt hat. Deswegen sollten Leute wie Wolfram Weimer in ihrer unbändigen Klugheit ihre Vorwürfe neu adressieren: Niemand schadet Israel, Jüdinnen und Juden gerade so sehr wie die israelische Regierung selbst.

Hinterlasse einen Kommentar