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Sanftheit der Farben

Worum ich Kunst und Künstler beneide. Jedenfalls die, denen ich zu Füßen liege. Ihre entspannten Gesichtsausdrücke. Pablo Picasso, Marc Chagall etwa. Der eine seit jeher mein Lieblingsmaler und -keramiker. Dem Anderen begegnete ich, noch jung, erstmals in meiner Heimat-Stadt Frankfurt am Main. Dort hing im Theaterfoyer der Städtischen Bühnen seine Großfassung des Gemäldes „Commedia dell’arte“. 2,50 x 4,00 Meter. Angefertigt zur Eröffnung der so genannten Theater-Doppelanlage (Schauspiel und Oper) Anfang der 1960er Jahre. Es hat mich in seinen Farben beeindruckt. Und in dem, wofür die Commedia dell’arte steht: Vitalität, Sinnlichkeit, Spontaneität („faust“-Zitat). Der jüdisch-russische Künstler verband mit seinem polyglotten, kosmopolitischen und genre-reichen Leben alles, was bis heute Konflikte birgt. Sein Schaffen war stets von politischen Imponderabilien begleitet.

Um so erstaunlicher, dass Chagall auf den Fotos, die es von ihm gibt, mehrheitlich Sanftheit verströmt. Vor allem auf denen, die ihn in Südfrankreich zeigen. Wo er sich zuletzt niederließ. In Saint-Paul-de-Vence. Zuvor im benachbarten Vence, dessen Ehrenbürger er ist. In dem Ort wird in diesem Jahr seine Kunst gefeiert. Ich war dieser Tage dort. Und begriff. Vor allem das Licht faszinierte Chagall. Aber auch Vegetation und Lebensrhythmus, wie es in Texten zur Retrospektive heißt. Eine „mediterrane Wiedergeburt“, so wird die Ausstellung zu Ehren Chagalls und seinem 40. Todestag überschrieben. Die in jeder Hinsicht Wärme seines späten südfranzösischen Domizils mag ein „Geheimnis“ seiner bisweilen versöhnlich wirkenden Werke gewesen sein. Seiner Nachsichtigkeit zeichnenden Gesichtszüge. Seines vermeintlichen Ihmnichtsanhabenkönnens. Aber vielleicht ist da zudem noch etwas Anderes.

Etwas, was er mit Künstlern seiner Zeit offenbar gemeinsam hatte. Das Politische nicht aus dem Leben und Schaffen zu drängen. Ihm sowieso nicht entkommen zu können (ich gehe jetzt nicht näher auf die politischen Umstände ein, unter denen Chagalls Arbeiten vor allem in seiner ersten Lebenhäfte entstanden). Sich dabei aber immer wieder auf die Kraft der Kunst zu besinnen. Als einem Weg, die politischen Verhältnisse zu verarbeiten und zu reflektieren. Ihnen dabei freilich nicht zu erliegen. Und schon gar nicht, die eigene Unabhängigkeit zu verlieren. Chagalls Kunst ist stärker geprägt von Themen, die weit über die Politik seiner Zeit hinaus-, aber auch tiefer in sie hineinragen, als beispielsweise die Kunst von Picasso. Der sich der Politik auch als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs mal ernster („Guernika“), mal in giftig-ironisiender Weise (Stalin-Porträt zu dessen Todestag) widmete.

Gemeinsam ist Chagall und Picasso allerdings das, was – siehe oben – meinen, ja: irgendwie Neid, eher aber meine Irritationen und meinen Versuch ausmacht, hinter die zumindest vordergründige Entspanntheit auf den vielen Fotos von den beiden Künstlern zu gelangen. Wie schaffen es Menschen, wie kann ich es schaffen, all dem, was mit Blick auf die Politik umtreibt, derart vermeintlich gelassen zu begegnen? In Südfrankreich lässt sich dies, so mein Eindruck, auf besondere Art ergründen. Nichts, so ahne ich während meines Aufenthaltes dort, kann einen derart verzehren, wie sich von politischen Ereignissen und Einflüssen, von einer noch so grauenhaften Weltlage wie sie derzeit zu greifen ist, auf welche Weise auch immer versklaven zu lassen. Kunst, so wird mir gewahr, ist eines der wertvollen Felder, auf dem es gelingen kann, dem Schrecken etwas entgegenzusetzen. Sich nicht bitter in ihm zu verfangen.

Das wurde mir deutlich beim Besuch der „Fondation Maeght“ in Saint-Paul-de-Vence, dem Ort, in dem Chagall seine letzte Ruhe fand. Dort, auf einem Hügel, strahlt Kunst die Energie aus, die einem fehlt oder abhanden kommt, wenn man der Kunst nicht Platz macht. Inmitten einer wunderbaren Architektur des Katalanen Josep Lluís Sert entstand in Zusammenarbeit mit Joan Miró und Georges Braque ein Ensemble für grandiose Meisterwerke. Eröffnet im Juli 1964 vom damaligen französischen Kulturminister André Malraux, zählt die private Sammlung mehr als 10.000 Arbeiten, die immer wieder via neuen Themenaspekten und Retrospektiven gezeigt werden. Darunter auch solche von Marc Chagall. Gemälde, Skulpturen, Plastiken. Auch Pablo Picasso bekam dort seine Ausstellung. 1981. Plakatmotiv war sein Bild „Claude spielt mit Spielzeug-Laster“. Und zeigt Picassos Sohn. Gemalt im nahen Vallauris.

Vallauris, Antibes, Mougins . Überall findet sich der Namen Picasso. In Vallauris schuf er „La Guerre et la Paix“, als Beitrag zu internationalen Aufrufen für den Weltfrieden. In Folge des Nazi-Unheils. Dort entstanden viele seiner Keramiken, die auch in Antibes zu sehen sind, wo Picasso im Grimaldi-Schloss ein Atelier unterhielt. „Krieg und Frieden“ hängt an den gewölbten Wänden der ehemaligen Schloss-Kapelle in Vallauris. Picasso wollte nicht, dass die Kapelle von innen und damit seine Malerei beleuchtet wird. Er wollte, dass, wer die Kapelle besucht, eine Kerze in der Hand hält. Und mit dem flackernden Licht wie in einer Höhle von Figur zu Figur geht. Ihr Wirken und seine Bedeutung im Schein des Kerzenlichts erkundet. Ein „kleines Kerzenlicht“ auf kriegerischen Zuständen und friedlichen Auswegen. Licht als Sinnbild für das Gutmögliche. Ohne grelle Übertreibung.

Vielleicht ist es das, was mir auf dieser Reise durch die Kunst entlang und knapp hinterm Meer, Hügel hinauf, dämmerte: Dass man der Grellheit der Widerlinge, die derzeit den Erdball in Aufruhr versetzen, nicht mit eigener Grellheit entgegenwirken kann. Nicht das Gute mit einer Kopie des Schlechten verteidigen oder überhaupt erst wieder installieren darf. Wir sind geneigt, dem, was uns unsere Seele stören oder zerstören mag, was uns erschreckt, mit ähnlich fragwürdigen Mitteln oder Emotionalitäten Einhalt zu gebieten. Ohne Erfolg. Die Dynamik weiter anheizend. Mag sein, dass die Rückbesinnung etwa auf Farben als feiger Rückzug gewertet wird. Wenn ich in die Gesichter von Chagall oder Picasso schaue, sieht es mir so aus, als könnte hinter eindrücklicher Sanftheit allemal eine ausdrucksvolle Form von Gegenhalten stecken. Um sinnbildlich dem Grauen kontra zu bieten.

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