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Woche 41/2025

Freitagmorgen. Ich weiß: Das selbstgewählte Herunterwirtschaften der SPD ist eigentlich ein Top-Thema. Und doch denke ich an 11 Uhr. Wenn in Norwegen der/die diesjährige Nobelpreisträger*in bekannt gegeben wird. Dass die SPD Verrat an sich selbst betreibt, ist ja schon fatale Gewohnheit. Gewiss, auch dass US-Präsident Donald Trump genannte Auszeichnung bekommen könnte, ist bei allem, was an Weltpolitik über der Grasnarbe zu betrachten ist, nicht mehr auszuschließen. Es wäre freilich so etwas wie der Gipfel erdballumspannender selbstzerstörerischer Offenbarung. Die Inkarnation jedweder Abwesenheit menschlicher Integrität. Ein MAGAist als Friedensstifter. Irre. Nun ist es 9:30. Noch anderthalb Stunden. Dann wissen wir Bescheid. Ob wir symbolisch am Ende sind. Oder es noch einen Funken Hoffnung gibt. Ob die Jury in Oslo an diesem Freitag noch alle Tassen im Schrank hat.

11 Uhr 05. Danke Oslo! Danke Oslo? Von wegen. María Corina Machado. Die deutschen Medien zeigen sich – mal wieder! – ahnungslos. Oder stellen sich absichtlich dumm. DIE Medien? Nicht alle. Neben dem „nd“ sagt die „taz“, was Sache ist. Die Vergabe des Friedensnobelpreises, ein Spielen über Bande. Der Preis ging tatsächlich nicht an Trump. Aber, wie manche glauben machen wollen, ein Anti-Trump-Preis? Machado selbst widerlegt das Narrativ. Widmet Trump ihre Auszeichnung. Nicht ohne Grund. Wer auf der österreichischen Fake-Enthüllungs-Plattform „mimikama“ (auf die die „Bundeszentrale für Politische Bildung“ bisweilen verweist) und anderswo nachliest: Machado ist Verbündete eines internationalen rechten Netzwerkes (Vox-Partei, Milei, Bolsonaro, Orbán, Meloni). Stichwort: „Carta de Madrid“. Oppositionelle mit allerdings ausgewiesenem antidemokratischen Spin. Trump-Fan.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Verteilt, offenbar noch immer Putin-paralysiert, überschäumendes Lob https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/10/251010-Glueckwunsch-Friedensnobelpreis.html. Ein kleiner Check – er wäre eines Schlechteren belehrt worden. Fahrlässig? Vieles an Preisvergabe, Würdigung und medialem Spuk lässt ein verstörendes Framing erkennen: Danach ist das schlimme Übel weniger schlimm, als das schlimmste Übel. Die rechtskonservative „Freiheitskämpferin“ erträglicher als der Autokrat Trump. Auf deutsch: Jens Spahn zumutbarer als Alice Weidel. Weidel zumutbarer als Höcke. So kann man sich die Welt auch schönreden. Fakten ignorieren. Und am Ende sieben Kriege beenden. Wie Trump, der nicht mal die Länder buchstabieren kann, denen er angeblich den Frieden brachte. Vielleicht ist ja auch allein die Entfernung Oslo-Caracas zu groß für klare Sicht. Die Entfernung zum Nobelpreis-Gedanken ist es allemal.

So weit entfernt wie die SPD von sozialpolitischer Integrität. Dass CDU und CSU hier schmerzfrei sind, bekannt. Dass die SPD in der Koalition da mitspielen würde, ahnte man. Menschen, die noch bei Sinnen sind, fürchteten es. Dass es nun so kommen soll, ist im wahren Wortsinn ein Armutszeugnis. Die Wandlung vom „Bürgergeld“ zur „Grundsicherung“ ist genau das nicht: Eine Existenzgarantie. Und wird deswegen von in Sachen Verfassungsrecht Kundigen für verfassungswidrig gehalten. Das höchste deutsche Gericht hat hier schon einmal Linien gezogen. Bärbel Bas, ihres Zeichens Bundesarbeitsministerin, legt selbst das Streitbare offen. In dem sie einräumt, man bewege sich mit den neuen Regelungen gerade noch am Rande der Rechtmäßigkeit. Bis darüber Karlsruhe befinden könnte, wird ihre Partei, die SPD, derzeit in Umfragen bei 13 %, möglicherweise schon Geschichte sein.

Denn erst einmal müsste ein/e Kläger*in her. Und dann dauert es nach allen Erfahrungen lange, bis entschieden wird. Ob denn das affenzahnige Runterbrechen vermeintlicher Arbeitsunwilligkeit auf ein Nullsummen-„Spiel“ (sprich Entzug staatlicher Unterstützung) mit der im Grundgesetz verbrieften Würde des Menschen vereinbar ist. Man kann ja bisweilen streiten darüber, ob die Sozialdemokratie in Abwehr gegenüber dem schlimmsten aller Übel, der voranschreitenden AfD-Dämmerung, nicht den einen oder anderen Kotau vor der Union machen muss. Aber in eine gebückte Haltung zu verfallen, aus der man, wenn sie zur Grundhaltung wird, nicht mehr hochfindet, steht den SPD-Granden nicht zu. Denn die Partei hat noch eine Basis, der Klingbeil&Co verpflichtet sind. Pflicht oder Wahrheit? Das machtverlorene Flaschendrehen könnte nach hinten losgehen. Möglicherweise for ever.

In jedem Fall kann Bildungsministerin Karin Prien von der CDU, wenn ihr „Laden“ so weitermacht, schon mal den Koffer vom Boden holen. Sie hatte angekündigt, nach Israel auszuwandern, sollte die AfD eines Tages, Gott bewahre, den/die Kanzler*in stellen. Was sie hätte noch bedenken sollen: Wenn ihre Union ihr sozialpolitisches Versagen auch künftig nicht nur zur Pflicht macht, sondern als Kür staatssanierenden Handelns betrachtet, dann ist ihre, also Priens, Horrorvorstellung nicht völlig abwegig. Es liegt also nicht an irgendwem Abtrakten außerhalb des Politikbetriebs, ob Priens Auswanderungsszenario Wirklichkeit werden könnte, sondern an ihren Papp-, sorry Parteikamerad*innen Jens Spahn oder Julia Klöckner nebst Kanzler Friedrich Merz. Sie tun gerade alles dafür, der AfD den braunen Teppich auszurollen. In ihrem Schlamm-assel verschwimmen peu a peu die Konturen.

Apropos verschwimmende Konturen: Auch die Debatte drüber, ob der Osten der Republik AfD-verseuchter ist als der Westen, geht munter weiter. Es ist müßig darüber zu streiten, statt vereint den Rechten die Stirn zu bieten. Die Zahlen freilich lügen nicht. Flächenbetrachtet liegt die AfD in den ostdeutschen Bundesländern derzeit deutlich über 30, teils bis an die 40 %. Bundesweit allerdings nimmt der Zuspruch ebenfalls zu. Mit Werten vor der Union. Ob dies das Ergebnis infektiöser Wählerwanderung ist, darüber können sich Politikwissenschaftler, Soziologen und Psycho-Experten streiten. Demokraten sind aufgefordert, das Ganze als Ganzes zu betrachten – und möglichst viele Menschen auf die Straße und in die Institutionen zu bringen, um dem AfD-Vormarsch Einhalt zu gebieten. Und das in jeder Hinsicht. An die Regierung gewandt. Und an die, die guten Gewissens ein aufgeklärtes Land wollen.

Gedanken daran, auszuwandern, habe ich nicht. Jedenfalls noch nicht. Und mit Prien in einem Flieger oder auf einem Schiff oder in einem Zug, das kann ich mir ebenfalls nicht vorstellen. Denn leider ist es so, dass man dort, wohin es gehen könnte, nicht in eine bessere Welt gelangt. Sondern in eine ähnlich verhunzte wie die, der man zu entfliehen versucht. Und nichts würde verhindern, dass man schließlich nur in sich selbst Frieden fände. Oder vor allem dort. Ich bin allerdings angesichts meiner Sozialisation weit davon entfernt, mich einbunkern zu wollen. Immer wieder habe ich versucht, mit der Besinnung auf mich selbst zur Ruhe zu kommen. Um alsdann an der nächsten Ecke schon wieder aus dem Häuschen zu sein. Irgendwie will es mir nicht gelingen, vorm Unheil zu weichen. Spätestens wenn ich an den Jubel denke, den anderen dabei empfänden, raffe ich mich wieder zu Widerstand auf.

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