Es war irgendwann im Frühjahr. Vielleicht auch Frühsommer. Da kämmte ich alle möglichen Internetseiten durch. Auf der Suche nach Jazzfestivals, die ich in diesem Jahr besuchen könnte. Auf „Jazzwise“, das vor allem Festivals in UK, aber auch sonst überall in Europa auflistet, stieß ich auf das Festival in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje. Skopje? Ich schaute, wer so alles in den vergangenen Jahren dort aufgetreten war. Und spürte, dass ich da auf eine Perle abseits der sonst gern gehypten Events gestoßen war. Auf ein Festival nicht „um die Ecke“. Sondern an einem Ort, an dem man (in bis dato Unkenntnis) Jazz vom Feinsten nicht auf Anhieb vermutet hätte. Ich scrollte durch 2024. Hörte da und dort hinein. Wurde angefixt. Sah das 2025er Programm. Termine. Buchte mich ein. Flüge von Berlin nach Skopje hinzu. Unterkunft. Ein Freund schlug ein. Wir machten uns gespannt auf den Weg.
Es hat sich, das gleich vorweg, in vielerlei Hinsicht gelohnt. Nicht nur, weil der Ort und Jazz schon für sich eine gewisse, ich will es mal „Extravaganz“ nennen versprach. Sondern weil ich, auch wenn ich mich neugierig in die Musik des ein oder der anderen, derdie dort auftraten, hineinbegeben hatte, dann doch über die Herausforderungen freute, die das Programm bot. Wer Ohrenschmeichelei erwartete oder üblichen Balkan-Beat: War hier Fehl am Platze. Herausforderung hieß das Stichwort. Der erste Abend täuschte. Aber nicht enttäuschend. Das Andrzej Jagodzińki Trio bot Bach- und Chopin-verjazzte Interpretationen aufs Feinfühligste. Das National Jazz Orchestra mit Arrangeur und Dirigent Sigi Feigl und dem famousen Posaunisten Luis Bonilla aus Graz swingte Bigband-mäßig durch den Abend. An den drei darauffolgenden Tagen aber wurde man ausgiebig und schonungslos geprüft.
Unter dem Dach des Oper- und Ballettgebäudes entfalteten die geladenen Musiker*innen vor jeweils nahezu vollem Haus die ganze Fülle dessen, was abseits von mir gewohnter Jazz-Sphären geht. Marc Ribot aus den USA (der Folk hasst und Donald Trump und Lyrik von Alan Ginsberg vertont). Kahil El’Zabar’s Ethnic Heritage Ensemble (wilder Schlagwerker, der mit über 70 die Bühne zum Vibrieren brachte), das After The Wilfire Quartet (elektronischer Sound mit dem großartigen Trompeter Arve Henriksen), die Goran Kajfeš Tropiques (mit exquisiten Streichern, die den Mann an der Trompete orchestrierten), das Duo Wadada Leo Smith und Silvie Courvoisier (abseits klassischer Harmonien mal sachte, mal laut ausgreifend) – sie verlangtem dem Publikum alles an Hörvermögen ab. Sich wie Klassik-„Spießer“ Neutönern hinzugeben. Was das Plenum tat. Stets standhaft und weltoffen feierte.
Das ist in einer Stadt wie Skopje nicht automatisch zu denken. Dort, wo gerade Kommunalwahlen anstanden. Und am letzten Festival-Tag abgehalten wurden. Denn Nordmazedonien ist politisch weit weniger der Welt offen zugewandt als die Programmmacher des Jazz-Festivals. Es hat, wieder einmal, die nationalkonservativ-rechte Partei VMRO-DPMNE das Rennen gemacht. Die ausgerechnet unserer Unterkunft gegenüber ihr Wahlbüro hatte. Ihr Skopje-Kandidat Orce Gjorgjievski ging im Restaurant, in dem wir frühstückten, ein und aus. Ein Kerl, dem man sein rechtes Innenleben regelrecht ansah. Und der von einer ebenso aggressiv dreinschauenden Entourage begleitet wurde. Nach dem letzten Konzert, in dem das James Brandon Lewis Quartet wieder für Beruhigung unserer musikalisch aufgewühlten Seele sorgte, wurde bei VRMO der Sieg herausgebrüllt. Ein wahrlich verstörender Missklang.
Ich schreibe das deswegen auf, weil mir Skopje, nicht nur mit Blick auf das Jazzfestival, als eine Stadt ausgewiesener Diskrepanzen erscheint. VRMO sieht sich als Erbe jahrzehntealter „revolutionärer“ Feindschaft. Vor allem Bulgarien gegenüber. Im Museum des Mazedonischen Kampfes am Fluss Vardar lässt sich nachverfolgen, wie sich die Attitüde der Befreiung von Fremdherrschaft, der etwas nachvollziehbares Linksgedrehtes anhaftet, im Laufe der Zeit in üblen Nationalismus wenden kann und wendet. Und das nachhaltig. Wer eine Führung durch Skopje bucht, dem wird genau das eingeschänkt: Wein, der als trübes Wasser nachschmeckt. Genauso wie die von unzähligen Statuen und pappmachee-artigen Bauten gesäumten Straßen und Plätze. Die im Zuge des „Projekts 2014“ Kitsch zum Programm machten. Dahinter freilich blättert sich ein architektonisches Jammertal auf.
Vielleicht ist es allerdings genau das, was mir bei allem VRMO-Gehabe als ausgesprochen positiv in Erinnerung bleiben wird. Dass sich mitten in den Reibungsorten zwischen pseudo-klassistischem Protz und dagegen schon fast attraktiver postsozialistischer Realität solch ein Jazzfestival seinen Platz schaffen und halten konnte und kann. Und das, 1982 ins Leben gerufen, schon Prominenz wie Ray Charles, Herbie Hancock und John McLaughlin aufgefahren hat. Und also sich nicht allein einen Ruf als Bühne experimenteller Klänge erwarb. Es ist, das unterscheidet Land und Stadt nicht von anderswo, die Kultur, die Stachel im Fleisch fragwürdiger Heimatverbundenheit sein kann. Wenn man sie denn lässt. Und sei es als eine Art Feigenblatt. Ein Feigenblatt ist das Jazzfestival Skopje seit jeher betont: nicht. Sondern Ergebnis musikalischer Empathie. Das war auch in diesem Jahr tief spürbar.
Ich wünsche Skopje von Herzen mehr Jazz statt der ikonischen Mutter Teresa (die hier zur Welt kam und ja auch nicht blieb). Und dass jedes Jahr im Oktober die Stadt allvierabendlich bis Mitternacht in Weltoffenheit getaucht wird. Ich werde weiter sehen, was geht: Vielleicht Kinshasa statt Moers und Montreux. Wer den Film „Kinshasa Symphony“ gesehen hat, gar nicht so weit hergeholt. Die Musiker*innen von Skopje ziehen, soweit ich das verfolgen kann, indes weiter durch die Welt. Auch sie werden, da bin ich mir sicher, ihre Musik in nordmazedischen Spannungsfeldern im Nachhinein gut aufgehoben wissen. Jazz, das wurde mir, wieder einmal, bewusst, kennt keine Grenzen. Er begreift Herkunft, Berührungen und multikulturelle Perspektiven, anders als der Rassismus von Kanzler Merz, als Bereicherung. Er passte gut ins Stadtbild von Skopje. Brach es im wunderbarsten Sinn auf.

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