by

Nicht Trotz: WEIL!

Die SPD befinde sich im „Umfragesturzflug“! Textet die „Frankfurter Rundschau“. Und fügt an: „Trotz Bürgergeldreform und schärferem Migrationskurs“. Was ist falsch daran? Für die richtige Antwort spendiere ich einen Kurzurlaub im Sauerland. Bei Deutschlands Vorzeigerassisten Friedrich Merz. Es ist nur ein Wörtchen. Statt „trotz“ muss es WEIL heißen. Und schon ist der Tripp ins Sauerland eingetütet. Die SPD ist nicht „trotz“, also zähneknirschend, sondern nahezu widerstandslos dem Kurs des Koalitionspartners gefolgt. Kurzes Zucken. Das war’s. Klingbeil-Style. Was, frage ich, muss einem Koalitionspartner noch so aus dem Geist rutschen, bis Sozialdemokraten 1. merken, wo sie Platz genommen haben, und 2. der Union die Partnerschaft aufkündigen. Einer Union, die immer wieder anbiedernd und/oder aus Überzeugung rechte Narrative transportiert.

Längst hätte breiter Widerstand gegen Merz, Spahn und Co organisiert werden müssen. Von der SPD sowie vom Rest des linksliberalen Spektrums. Was heißt breiter Widerstand? Was heißt überhaupt Widerstand? Mir scheint, dass SPD, Grünen und der Partei „Die Linke“ bei allem verbalen Gegensteuern nicht viel dazu einfällt. Zumindest grüne Stimmen wurden laut, als tausende Menschen gegen den rassistischen Merz-Sprech vom „Stadtbild“ in Berlin auf die Straße gingen. Vor der CDU-Zentrale sprachen zB Carolin Emcke, Luisa Neubauer, Jusos. Am Tag zuvor hatten Initiativen spontan eine Kundgebung organisiert. In 48 Stunden. Ein Beispiel, wie schnell und breit sich Widerstand formieren kann. Die Linke braucht abseits üblicher Statements immer wieder viel Zeit für einen notwendigen Brückenschlag vom Parlament zu außerparlamentarischen Aktionen.

Ein solcher Brückenschlag aber ist wichtiger Bestandteil von Widerstand. Mit Süffisanz quittieren Linke-Parlamentarier stets aufs Neue, wenn ihr Votum nötig ist, um qua 2/3-Mehrheiten der Koalition zur Verwirklichung der „Geschäftsordnung“ zu verhelfen. Und die AfD dabei das Nachsehen hat. Ich finde freilich, die Zeit ist abgelaufen, einer Regierung immer wieder aus der Patsche zu helfen, die das Land spürbar nach rechts steuert. Auch ohne die AfD. Wer die Union als Steigbügelhalter der Rechten geißelt, darf Steigbügelhaltern nicht die Steigbügel halten. So einfach ist das. Die Republik ist an einem Punkt, an dem es ums Ganze geht: Um die Bewahrung von Demokratie und menschlicher Integrität. Dieses Fundament wird gerade nicht nur von der AfD, sondern auch von Union und SPD eingerissen. Die so genannte „Mitte“ aber muss sich entscheiden, jetzt!

Sieht sie sich auf Seiten derer, die gegen einen „Stadtbild“-Rassismus und dessen weitere Auswüchse protestieren? Oder will sie eine „Mitte“ sein, die zunehmend Geist und Gespür für demokratisch-freiheitliche Balance verloren hat? Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass eine große Phalanx her muss gegen die AfD und ihre Nachahmer (oder bisweilen sogar Vorturner). Sie sollte auch Kräfte aus Union und SPD einschließen. Wenn möglich. Möglich ist dies, insoweit sich diese Kräfte unmissverständlich auf der Seite von Demokratie, Rechtsstaat und Weltoffenheit sehen. Das schließt eine menschenwürdige Migrationspolitik ein. Und „Stadtbilder“ a la Merz defintiv aus. Und muss die zweifelsfreie Basis sein, auf der sich alternative Politikvorstellungen zusammentun. Hier darf es keine Kompromisse geben. Und keine falschen oder auch nur missverständlichen politischen Signale.

Es darf freilich vor allem nicht nur eine Bewegung des Widerstands sein, die formiert werden sollte. Sondern es muss daraus, von Anfang an, eine Bewegung wachsen, die die Leerstellen der Realpolitik füllt. Und eine Bewegung, die Visionen hat. Derzeit leben wir in einer politischen Microwelt, die auf der Macroebene strauchelt. Will heißen: Gibt es mittel- oder langfristig erstrebenswerte Ziele, werden sie fragwürdigen Tagesordnungen geopfert. Siehe E-Autos oder Klimapolitik. Was gestern halbwegs konstruktiver Konsens schien, landet kurzfristig in Ablage P. Aus finanziellen oder machtpolitischen Erwägungen. Auf Druck etwa von Wirtschaftslobbyisten. Wer konstruktiv Perspektiven aufzeigen will, muss sich von Kurzfristgkeiten frei machen. Das gilt auch für Grüne und Linke in Parlamenten. Umfragewerte taugen nicht für dauerhaft belastbare Abgleiche über richtig oder falsch.

Die albanische Politologin und Autorin Lea Ypi hat dieser Tage im SPIEGEL-Interview deutlich gemacht, wo Defizite und Chancen einer Bewegung links der „Mitte“ liegen. Und die von ihr favorisierten Denker genannt: Karl Max und Immanuel Kant. Sie stünden für Aufklärung und einen antiautoritären Geist. Und für die Ideale des Universalismus. Ypi plädiert für einen Weg, der auf der Erkenntnis beruht, dass kulturelle, religiöse und ökonomische Ausgrenzung stets zusammen betrachtet werden müssen. Und dass das Positivbild ebenfalls eines sein muss, das die Elemente des Universalismus zusammenführt. Sie konstatiert: „Parteien haben sich zu Wahlkampfmaschinen entwickelt, sie haben es aufgegeben, längerfristige politische Visionen zu entwickeln. Funktionierende Parteien müssten etwas anderes bieten, sie sollten Vehikel des gesellschaftlichen Wandels und Fortschritts sein.“

In dieses Vakuum muss eine Bewegung stoßen. Sie darf in diesem Sinne also nicht bloß Protest sein. Sie muss in jeder Hinsicht positive Ausblicke bieten. „Yes we kann“ – diese Stimmung gilt es weiterzutragen. Sich nicht über das Unmögliche zu beklagen, es anzugreifen, jedenfalls nicht nur, sondern Möglichkeiten der Bewegung nach vorn aufzuzeigen. Zu zeigen, wie Leben in Gleichheit und Freiheit aussehen könnte. Unter allen oben genannten Gesichtspunkten. So sehr es Grund gibt, sich über Trump und seine Kopien aufzuregen, so wenig dürfen sie die Agenda vorgeben, in der sie fortschrittliche Bewegungen ersticken. Trump zeigt, wie andauerndes Bombardement vor allem eins zum Ziel hat: Jedwedem Universalismus, der auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, ökonomischer Gleichheit und Menschenrechten beruht, allemal die Kraft zur Entfaltung zu rauben.

Gewiss ist es notwendig, sich dem in den Weg zu stellen. Genauso ist es allerdings notwendig, mit belastbaren und universellen Gegenentwürfen dem Ansinnen rechtskonservativer oder rechter Politik die Stirn zu bieten. Indem wir die Negativbilder (Bürgergeldschmarotzer, störende und den Sozialstaat schröpfende Migranten, journalistische Systemknechte, vom Staat gesteuerte Gerichte, Gendersklaven und was die Listen sonst noch so hergeben mögen, die auch von Medien immer wieder gerne abgerufen werden), die Ausgangspunkt dieser Politik sind, und ihre ideologische Konnotation benennen. Und zugleich die Positive zeigen (das Für eines empathischen Sozialstaats, des migrantischen Reichtums, freier Medien, unabhängiger Gerichte, einer dynamischen Sprache undsofort). Fortschrittliche Gesellschaftsentwürfe sind mehr denn je unabdingbar!

Der SPD könnte man eventuell zugute halten, dass ihr der Sinn für derartige und für alle tragfähige Gesellschaftsentwürfe aus Fahrlässigkeit abhanden gekommen ist. Genauso fahrlässig, wie etwa die Grünen-Politikerin Göring-Eckardt glaubte, es sei ausländerfreundlich, mit einem Döner-Laden-Bild der unionsgeladenen „Stadtbild“- Stigmatisierung Paroli zu bieten. Oder aber, das mag ich nicht denken, das permanente rechte Infiltrieren von Debatten und Politik ist schon so weit in die „Mitte“ und bisweilen links eingesickert, dass die Fallen, die gestellt werden, gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Um so zuträglicher wäre es, die Sicht auf konstruktive Visionen freizumachen und sich nicht im Dickicht rechter Tageslosungen zu verstricken. Sozialempathie, Migration, Klimaschutz, Gerichte, Medienöffentlichkeit, lebendige Sprache – sind gut, nicht schlecht.

Hinterlasse einen Kommentar