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Die ewige FR

Ach, Claus-Jürgen…so möchte dieser Rückblick und zugleich Blick auf die Gegenwart der „Frankfurter Rundschau“ beginnen. Der Ex-Kollege diesen Vornamens hatte in die Räume der Rosa-Luxemburg-Stiftung eingeladen. Anlass: Sein Buch – „Zeitung im Kampf“. Rückblick auf 80 Jahre FR. Ich bin ja immer zurückhaltend mit diesen „Kamerad-Weißt-Du-Noch“-Terminen. Allzu leicht fühlt man sich, wie jung sich der Geist auch immer gehalten haben mag, zum „alten Eisen“ sortiert. Alter Ehrgeiz versickert in Erinnerungen. Wer ihn rausholt, wird gewahr, wieviel Herzblut geflossen ist im Journalistenleben. Welche Missionen damit verbunden waren. Und wo stehen wir heute? Die Ideale verpufft. Nicht nur, dass die Politik einen überrannt hat – und stets neue Trampeltiere Ideale plattmachen wollen. Dazu kommt der technische Wandel. Und das ganze ökonomische Auf und Ab.

Von dem erzählte der Kollege, der das alles hinter sich und aufbereitet hat. Ich saß da, fühlte nach. Obschon ich die FR, bevor Redakteurinnen und Redakteure plus übriges Personal dezimiert wurden, verlassen hatte, hing und hängt mein Herz an ihr. Anders, als ein Freund, der sich partout nichts anderes vorstellen konnte, als mit diesem Blatt und seinen digitalen Weitungen auf- und im Zweifel unterzugehen, hatte ich mich, lange bevor das heimliche Zentralorgan der SPD in die Knie gewirtschaftet wurde, vom Acker gemacht und jenseits meiner Heimatstadt Asylanträge gestellt. Mit Erfolg, wie ich sagen darf. Aber reingeschaut in die FR habe ich immer. Und mich mitgefreut und mitgelitten. Auch der eigene Weg war ja nicht nur mit medialen Rosen bestreut. „Zeitung im Kampf“ – das stand und steht für alle Medien. Wer leben oder wenigstens überleben will, braucht ein ziemlich dickes Fell.

Die FR war für mich ehedem ein guter Übungsplatz. Angefangen von den Promillen, ohne die im altehrwürdigen Journalismus früher nichts ging. Wer die Schreibmaschinen im Ringen um Aufklärung traktierte, fühlte sich nur gewappnet, wenn das „Stöffche“ floss. Bis hin zu den in den 80er Jahren zunehmenden inhaltlichen Debatten, die inbrünstig und mit je überzeugtem Impetus geführt wurden. Der Buchautor meinte, schon das Fehlen des SPD-Parteibuchs sei damals beargwöhnt worden. So auf Sozi gedrillt freilich war die FR in meiner Erinnerung nicht. Eher machte sich mit den gesellschaftlichen Bewegungen inklusive Gründung der Grünen die Einsicht breit, dass man den Sozialdemokraten im Namen einer vielfältigen linksgeneigten Leserschaft Feuer unter Hintern machen müsste. Es war die Blütezeit von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, dem „roten Dani“.

Immer wieder klafften deswegen Gräben zwischen Chefredaktion und eifrig schreibendem Personal. In einem Höhergestellten-Büro hingen ehedem wie Trophäen Bilder aus seiner, längst hinter ihm liegenden, wilden Zeit. Fotos, auf denen er mal allein (Heldenpose), mal mit Bewohner*innen des afrikanischen Kontinents zu sehen war. Ich ging felsenfest davon aus, dass es sich hier um Insignien anti-kolonialer Einstellung handelte. Heute würden, Haltung hin oder her, die Fotos schon aus Gründen kultureller Aneignung anstößig sein. Uns war das schnuppe, wenn wir nur so über die Proteste gegen den umstrittenen Ausbau des Frankfurter Flughafens („Starbahn West“) berichten konnte, wie wir es für richtig hielten. „Teilnehmende Beobachtung“ hieß unsere Losung. Gleichauf mit dem Kisch-Ruf als „rasende Reporter“. Wir schrieben, was wir sahen. Und leitartikelten, was wir dachten.

Ich sage mal: SPD-like war das nicht (mehr). Ministerpräsident Holger Börner war, auch in der FR, nicht gerade Freundbild. Das ist lange her. Da war die FR noch drauf und dran, über Hessen hinaus eine Rolle zu spielen. Heute hat sie nicht mal einen kleinen, nennenswerten Bruchteil an Redakteur*innen und Aufmerksamkeit. Man hatte, da machte der Buch-Autor kein Hehl draus, die Entwicklung – Druck-Aufträge auch von BILD und ZEIT adé, Digitalisierung ahoi – „verpennt“. Was kam, war eine drastische Schrumpfkur. Etwas, was alle Zeitungen auf der Schwelle zur Internet-Welt erfasste, die einen mehr, die anderen weniger. Die FR mehr. Man wurde von Besitzer zu Besitzer durchgereicht. So schnell, dass kaum Zeit blieb, sich zu wehren. Und wenn, dann wurde mit Zahlenwerk gedroht. Das hat sich für die meisten Medien bis heute nicht geändert. Kämpfe toben überall, überall wird gezittert.

Zuletzt wurde Gruner&Jahr niedergestreckt. Mit Hilfe eines sehr jungen Burschen, der erst Honig in Hamburg saugte, um sich dann an die Spitze der Übernahmehaie zu träumen. Dass ihm das so überhaupt nicht gelang, stimmt mich irgendwie fröhlich. Heute schreibt er meines Wissens mehr oder weniger belanglose Romane. Für Schadenfreude freilich ist im Grunde kein Platz. Denn, (für unsere Zeitrechnung) kaum, dass die Digitalisierung die Branche gerupft und in existenzielle Fragen gestürzt hat, rückt schon die KI-Flotte an und fährt ihre Kanonenrohre aus. Die Geschichte der FR wiederholt sich gewissermaßen. Unter anderen Umständen zwar, aber in der Dynamik ähnlich. Wenn sich Redakteure und Redakteurinnen beeilen, können sie gerade noch so ihre letzten selbstrecherchierten, selbstgeschriebenen Artikel Rahmen lassen oder in online-Archiven speichern.

Also, ohne mich alter RAF-Parolen verdächtig machen zu wollen, schon gar nicht im Sinne kultureller Aneignung, gilt: Der Kampf geht weiter! Die FR ist Gottseidank noch nicht bloß Geschichte. Und doch kann man von ihr eine Menge Geschichten erzählen. Sie sind allerdings eben nicht nur „Kamerad-Weißt-Du-Noch-Stories. Irgendwie und irgendwann, so dünkt einem, holen einen alter Geister heim. Entweder die der Ohnmacht oder die, es mit den Zeitenwenden aufzunehmen. Denn die Geschwindigkeit und die politische Atmosphäre, in der sich die Medienlandschaft verändert, stellen die Branche und die, die in ihr arbeiten, vor immer größere Herausforderungen. Es gibt also keinen Grund, das „Schicksal“ der FR als Teil einer romantisierten Vergangenheit zu belächeln. Im Gegenteil. Wegen alledem war es durchaus lohnend, dem Claus-Jürgen zuzuhören.

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