Mit seinem „Stadtbild“-Bild hat(te) Bundeskanzler Friedrich Merz ganz und gar unmissverständlich Migrant*innen im Visier. Nur Blöde, die nicht hören und lesen, schon gar nicht verstehen wollen, sehen das anders. Oder solche, die auf ganz Blöde setzen und ihm politisch aus der Patsche helfen wollen. Sie versuchten im Nachhinein so zu tun, als hätte Friedrich Merz gar nicht Ausländer*innen gemeint. Schon gar nicht auschließlich. Vielmehr hätte Merz etwa auch auf Drogensüchtige auf Straßen und Plätzen angespielt. Und auf andere verkor(k)ste Leute, die deutschen „Töchtern“ (Merz) das Leben zur Hölle machten. Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann müsste CSU-Mann Thomas Pardeller, der mit Kokain erwischt wurde, nicht nur aus dem „Stadtbild“ verschwinden, sondern als Bürgermeister von Neubiberg abtreten. Und sich nicht erneut für das Amt bewerben. Tut er aber. Gedeckt von seiner Partei. Ein Fall fürs Kanzleramt. Friedrich, geh du voran! Oder meinte Merz dann doch eher die Migrant*innen?
Die Debatten-Meute auf Merz-Seite verstrickte und verstrickt sich in ein Dickicht der Absurditäten. Auch konservative Medien versuchten eifrig, die Luft aus den Kanzler-Worten zu lassen, indem ihre Kommentatoren Interpretations-Spielräume schufen, die die Frage aufwerfen: Ist das schon die gefährliche, zur kompletten Sinnentstellung neigende KI, die nicht wenige heraufziehen sehen? Oder haben sich die Merz-Jünger einfach zu viel Dobrindt reingezogen. Der Realitätsverdreher wirkt derzeit stärker als das Cannabis, dessen Legalisierung er als Bundesinnenminister (CSU!) den Kampf angesagt hat. Mit dem auch eher verko(r)ksten Ruf: „Ein richtiges Scheißgesetz“. Gottseidank wirkt die Droge Dobrindt nicht über ihre Konsumenten hinaus. Und es darf gehofft werden, dass der Rassismus, der aus dem Kanzleramt in Schwaden durch die Republik zieht, noch keine epidemischen Ausmaße annimmt. Sondern nur solche ereilt, die maskenfrei in Merz-Nähe weilen: Jens Spahn und seine Rechts-der-Mitte-Combo etwa.
Derweil wird in Meloni-Land Italien vorgeführt, was droht, wenn solche wie Kulturstaatsminister Wolfram Weimer aufhören, sich hinter pseudo-liberaler Zaghaftigkeit zu verstecken. Wenn die Spahns, Klöckners und wie sie alle heißen, dem Appell der Rechten in und außerhalb ihrer Partei folgen und eine, Gott bewahre!, rechts-konservative Allianz bilden. Auch am Ende in kultureller Hinsicht. Der „Tagesspiegel“-Leitartikler Christoph von Marschall hat dieser Tage die Kissen für eine solche Konstellation schon mal mitvorgwärmt. Er konstatierte, dass die deutschen Wähler seit längerem mehrheitlich für Mitte-Rechts votierten und – nur wegen der Brandmauer – jeweils eine Mitte-Links-Regierung bekämen. Und dass auch deswegen der Unmut wachse und mit ihm die AfD. Weswegen SPD und Grüne einsehen müssten, dass der beste Weg, die AfD in Schach zu halten, sei, einen Mitte-Rechts-Kurs mitzutragen. Wow! Auch das klingt, als hätte da einer zuviel gekifft. Mein Rat: Raus aus dem „Stadtbild“!
Doch zurück zum Land der Sonne und des Weins. In dessen kulturellen Städten soll künftig, wenn es stimmt, was man liest, nur noch nationale Folklore ertönen. In Opern beispielsweise sollen nur noch die Werke von Komponisten aufgeführt werden dürfen, die italienische Namen tragen. Verdi, Pucchini, Rossini. Ein bisschen Weimer-like klingt es schon, wenn es dort heißt, man wolle nach einem halben Jahrhundert (der Geduld) nun endlich die „kulturelle Hegemonie der Linken“, Zitat Teaser n-tv, abschaffen. Dem Vernehmen nach schicke sich Staatssekretär Gianmarco Mazzi an, demnächst einen entsprechenden landesweit gültigen Kodex zu veröffentlichen. Wie n-tv berichtet, hat der Musikkritiker und Autor Alberto Mattoli im Medium „La Stampa“ geschrieben: „Nicht einmal der Faschismus hatte den Theatern vorgeschrieben, welche Werke sie ins Programm nehmen musten“. Was zeigt: M. kann bisweilen schlimmer sein als M. – Die Luft der angeblich moderaten Rechten nach oben: unbegrenzt.
Soweit zu den Folgen dessen, was der „Tagesspiegel“-Schreiber als Rat für SPD und Grüne parat hat, um die AfD zu zähmen. Es nämlich auf dem Weg nach rechts mit einer Light-Version in Sachen Nationalpopulismus zu versuchen. Und den Wähler*innen mit der Kopie die Lust aufs Original zu nehmen. Wenn es nicht wirkt, Pech. Dann hat man aber wenigstens die Hegemonie der Linken, die auch von Marschall wittert, gebrochen. Auch wenn alles den Bach runter geht. Bach runter ist ja eine wiederkehrende Spezialität der Koalition. Nicht nur Merz ist darin meisterhaft, auch sein SPD-Pendant Lars Klingbeil schwingt sich zum Star des Abwirtschaftens auf. Am Liebsten treiben einen Beide sozialpolitisch Richtung Abgrund. Beispiel Sondervermögen. Man weiß nicht, wohin das Geld fließt. Ob denn das ganze Ausschütten auf Schulden gebauten „Reichtums“ dort ankommt, wohin es gelenkt werden sollte. Die „FAZ“ berichtet treffend vom Nowwhereland. Und seinen stummen Echokammern.
Ich möchte Peter Unfried von der „taz“ nicht zu nahe treten: Aber ein bisschen wie Christoph von Marschall hat auch er es formuliert. Indem er der „Mitte“ eine Rolle zukommen lassen möchte, die sie längst verspielt hat. Nämlich eine Art demokratisch-realistische Vernunft zu vereinen. Um mit positivem Politikansatz die vermeintlich belastbaren Eckpunkte des kapitalistischen Staates zu halten. Was dabei rauskam, hat sich gezeigt. Agenda 2010 beispielsweise. Unter der Ampel die Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Und Etliches mehr davon. Erstrebenswert? Selbst wenn. Die Linke hat dabei keine Rolle gespielt. Sie hatte dies nach dem Willen der „Mitte“-Akteure auch nicht sollen. Selbst dort, wo sie sich andiente. Die „Mitte“, die Unfried zum politischen Ideal erheben möchte, hat mittlerweile – unter Merz/Klingbeil – mit sich selbst gebrochen. Die Linke als Korrektiv blieb außen vor. Die Rechte profitierte. Jetzt „Antifaschismus“ als Element der Spaltung zu diffamieren: Ist Unfried-Unsinn.
Linke, so Unfried, müssten gerade in diesen Zeiten der Polarisierung mehr „Mitte“ sein wollen und können. Das klingt auf den ersten Blick produktiv versöhnlich, ist aber zugleich ein täuschendes Unterfangen, wenn „die Mitte“, derzeit aus Union und SPD bestehend, bisweilen aus beidrehenden Grünen, sich einer standhaften tatsächlichen „Mitte“-Positionierung verweigert. Im „Freitag“ hat es Sebastian Friedrich, von der linken Seite betrachtet, wunderbar formuliert. Indem er das bekannte Postulat vom unwirschen Linken mit 20, der sich spätestens ab 40 „dem Verstand“ zuwenden sollte, entlarvt. „Die bürgerliche Gesellschaft“, so schreibt er, „organisiert ihren Konsens, indem sie Kritik in Lebensphasen aufteilt“. Das Gegenteil aber sei nötig: Die gesellschaftlichen Verwerfungen geböten es, dass gerade die Älteren statt sich mit den herrschenden Zuständen zu arrangieren, also in bürgerlichem Sinn vernünftig zu sein, ihre Fähigkeit behalten, die Grenzen einer brüchigen „Mitte“-Einkehr zu überschreiten.
Auch wenn es weit hergeholt erscheint, möchte ich einen kurzen Ausflug ins Nachbarland Österreich wagen. Dort haben betagte Nonnen, die im Pflegeheim stillgelegt werden sollten, ihr früheres Kloster besetzt. Die drei Augustinerfrauen im Alter zwischen 80 und 86 haben in einem Aufsehen erregenden Befreiungs(kirchen)schlag und gegen den Papst-Willen via Schlüsseldienst den Zugang zu ihrem ehemaligen Domizil freigekämpft. Und sind dabei von früheren Schüler*innen unterstützt worden. Von wegen jugendlicher Furor und altersgerechte Vernunft. Unfried schlägt vor, an einer „superheterogenen Mitte“ zu arbeiten und „Mitte“-Felder neu zu besetzen. Und an das Gute an Bundesrepublik und EU anzuknüpfen. Dazu muss sich aber weniger Die Linke bewegen, sondern Union, SPD und Grüne müssen schleunigst die Kurve kriegen. Und raus aus der Abwärtsspirale ihrer Politik. Antifaschismus (und Antirassismus) sind dabei das Mindestfundament, ein Lackmustest, und spalten nicht.
Man könnte es in Deutschland – nur so eine Idee – den Nonnen nachtun. Und sich aus den Pflegekammern des Geistes auf den Weg zu frischen Aktionen machen. Unabhängig vom Alter und der Frage, was an Sturm gebietet die Jugend, was an angeblicher Vernunft die Reife der Jahre. Ist es wirklich so, dass man mit dem Älterwerden dorthin driften muss oder sollte, wohin einen geläuterte Ex-Linke-Seelen treiben? Um sich ein paar Sporen auf bürgerlichem oder konservativem Parkett zu verdienen? Und den Eindruck zu erwecken, als sei das Einstimmen in den Chor einer guten „Mitte“ die Heilerde, die dem Land aufgetragen werden muss? Wie es so ist mit „Alles hat seine Zeit“ (Prediger 3, 1-11), die Zeit kann auch ablaufen. Dann müssen vereint neue Koalitionen geschmiedet werden. Mit dem Begriff der „Mitte“ sollte man da nicht mehr operieren. Er ist verbrannt, verkohlt. Wer „das Gute“ im Sinne Unfrieds ernten will, muss eine fruchtbare Saat ausbringen. Und gänzlich neue Äcker pflügen.

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