Gabriele Gysi, Schwester des Linken-Politikers Gregor Gysi, hat ein neues Buch geschrieben. Es handelt sich laut Verlag um eine Sammlung „essayistischer Reflexionen“, „persönlicher Erinnerungen“ und „politischer Beobachtungen“. Letztere trug der „Freitag“ in einem Interview mit Gabriele Gysi weiter. In dem es an Offenheit nicht mangelt. Etwa mit Blick auf die Dynamik des Vereinigungprozesses zwischen West-Deutschland (Ex-BRD) und Ost-Deutschland (DDR). In dem Einiges anklingt, das man teilen kann. Dass Ostdeutschland zu einem „nichts“ degradiert wurde beispielsweise. Inklusive „kultureller Enteignung“. Was man dann weiter liest, ist für einen wachen demokratischen Verstand freilich einigermaßen unzumutbar. Die AfD, so Gabriele Gysi, müsse „normalisiert“ werden. Und wenn es um dringend notwendige Politik gehe: Ihr sei „scheissegal, in welcher Partei jemand ist.“
Man hätte sich gewünscht, Gabriele Gysi wäre interviewt und ihre Positionen wären eingeordnet worden. Man kann aber auch auf Selbstentlarvung setzen. Der Teaser zum Gespräch mit einer Frau, die sich ihre „Aufmüpfigkeit bewahrt hat“, lässt darauf schließen, dass es um Entlarvung nicht ging. Sondern dass eher Nachsicht geübt wird, dass zur „Aufmüpfigkeit“ nicht nur eine schonungslose West-Ost-Betrachtung gehört. Sondern auch die Verharmlosung der Rechten, die daraus schöpft, dass der Rest der Republik mehr oder weniger absichtsvoll versagt (hat). Ein Narrativ, dass ebenso abgenutzt wie spahniolisiert klingt. Und den Weg für rechte Teilhabe am politischen Regieren freimacht. Vielleicht ist dem „Freitag“ da auch „nur“ für einen Moment der Feinsinn abhanden gekommen. Den man haben darf, auch wenn man auf Meinungspluralismus setzt. Was ich am „Freitag“ durchaus sehr schätze.
Wenden wir uns an dieser Stelle dem Verlag zu, der das Buch von Gabriele Gysi publiziert. Der Westend Verlag mit Sitz bei Frankfurt am Main. „Der Westend Verlag steht mit seinem linken Sachbuchprogramm zu Themen aus Politik, Wirtschaft und Umwelt für eine inhaltsgetriebene Art, Bücher zu verlegen“, so das „Ideenmagazin“ namens „Buchmarkt“. Der Verlag selbst sieht sich „nah an der Wirklichkeit, hinterfragend, zukunftsorientiert, gegenüber gesellschaftlichen Konfliktlagen und Umweltproblemen ebenso sensibel wie kompetent“. Dort veröffentlichen zweifelsohne honorige Autoren. Allerdings auch solche, die eher der Abteilung Verschwörung und Querdenker zuneigen – und deren Ansichten als äußerst fragwürdig gelten, wenn nicht gar rechtsgedreht. Ulf Poschardt ist einer von ihnen und neu hinzugekommen. Mit dem sinnigen Buch-Titel „Shitbürgertum“.
Das Buch ist eine erweiterte Fassung seiner Ergüsse, die er bislang selbst verlegt hat. Weil es sich quasi wie geschnitten Brot verkauft habe, habe er es einem Verlag geben wollen, der sich was „zutraut“. Da war er beim Westend Verlag offenbar an der richtigen Adresse. Denn so schön der Verlag sich nach außen putzt, so sehr schlägt ihm teils heftige Kritik entgegen. Etwa vom Portal „rheinmain-rechtsaussen“, das sich als „Plattform für Recherchen zur extremen Rechten“ in der Region versteht. Dort werden Zusammenhänge zwischen dem Westend Verlag und dem Versandhandel „Buchkomplizen“ benannt. In dessen Portfolio sich allerlei Autoren der Verschwörungs- und Querdenker-Szene finden. Einige von ihnen tauchen auch beim umstrittenen „Overton Magazin“ auf. Manche bei „apolut“. Allesamt moppern sie gegen eine Verengung von Meinungskorridoren.
Linke und antifaschistische Literatur, die laut „rheinmain-rechtsaußen“ im Westend Verlag zu finden ist, solle dessen Programm „aufwerten“. Nun, es sind nicht wenige Autoren, die dort aus linker oder linksliberaler Sicht schreiben. Sagen wir’s, wie es dem Westend Verlag vielleicht gefiele: Er deckt ein ziemlich großes Meinungsspektrum ab. In dem auch Platz hat, wer sich zwischen angebrachter Kritik an US-Präsident Trump und ausgesprochener Russland-Freundlichkeit bewegt. Womit wir wieder bei Gabriele Gysi sind. Sie verharmlost nicht nur die AfD. Sondern versteckt auch den Kreml. Indem sie den Amerikanern rät, sich nicht als Weltpolizist aufzuspielen, Putin aber keineswegs auffordert, in seinen Grenzen zu bleiben. Ukraine, NATO, Russland, das sei, so sinngemäß, eine sehr komplizierte Geschichte, die eine „kindliche Antwort“ und eindeutige Schuldzuweisungen verbiete.
Das Interview mit Gabriele Gysi spiegelt, was sich derzeit mehr und mehr an die Oberfläche bewegt. Möglicherweise auch, weil Wahlen in einigen ostdeutschen Bundesländern anstehen. In denen die AfD in jüngsten Umfragen nahe an 40 Prozent liegt. Die Angst geht um, die rechtsextreme Partei könnte gar die absolute Mehrheit erringen. Weswegen ein bisschen Verständnis für die Nachwehen her muss, die die deutsche Vereinigung in der Tat mit sich gebracht hat. Ob aber eine Normalisierung der Rechten und Kritiklosigkeit gegenüber dem verbrecherischen Putin-Regime die richtige Melange sind, um der vermeintlich angefressenen DNA der Menschen im Osten der Republik entgegenzukommen? Vielleicht sind Interviews wie das im „Freitag“ wichtig, um verengte Meinungskorridore zu öffnen. Und am Ende die Substanz zweifelhafter Positionen freizulegen.

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