Hendrik Streeck goes Philipp Mißfelder. Der hatte vor mehr als 20 Jahren schon einmal den widerlichen Faden gesponnen, aus dem Streeck jetzt seine Haltung strickt. Mißfelder, damals Chef der Jungen Union, schlug ehedem vor, Menschen über 80 nicht mehr mit künstlichen Hüften zu versorgen. Kostet nur, bringt aber nicht mehr viel, so legten Kritiker seinen Vorschlag aus. Streeck, CDU-Bundestagsabgeordneter, stellte jetzt die Frage, ob es Sinn mache, Hochbetagte, die etwa an Krebs im fortgeschrittenen Stadium erkrankt sind, noch besonders teure Medikamente zu verabreichen. Frage: Ist das eine Art furchtbarer Alters-Triage oder reicht das schon nah an das Sterbe“hilfe“-Grauen dunkler Tage heran? Streeck ist Sucht- und Drogen-Beauftragter der Bundesregierung. An welcher Droge hat sich der Mann vergriffen, dass ihm derartige Gedanken im Kopf herumschwirren. Ist er von allen guten Geistern verlassen? Ich fürchte, so ist es. Streeck schafft, was noch nichtmal üble Rechtspopulisten wagen.
Man könnte angesichts derartiger Gedanken-„Spiele“ auf die Idee kommen, den Abgeordneten der Union rückzuck aufs Abstellgleis der Politik zu stellen. Und es wäre nicht schlecht, wenn das am Besten die Partei täte, die sich schon im Namen ihrer Christlichkeit rühmt. Streeck könnte das auch selbst erledigen. Wenn er denn ein Bewusstsein dafür hat, was ihm da in einer der vielen Talkshows entfahren ist, die ja bekannt sind dafür, dass Politiker*innen dazu neigen in Zuspitzung Dinge zu sagen, die ihnen nachher zumindest leid tun. Angesichts anschwellender Debatten über ein gerade auch finanziell marodes Gesundheitwesen könnte es aber sein, dass Streeck nur zum Aufschlag für weitere Ungeheuerlichkeiten ausgeholt hat. Sana-Klinik-Chef Thomas Lemke jedenfalls stieß bei „Table.Today“ in ein ähnliches schepperndes Horn. Und es ist nicht auszuschließen, dass angesichts der prekären Kassen-Lage weitere dumpfe Vorschläge für fragwürdige Dosierungen medizinischer Errungenschaften folgen.
„Wir müssen als Gesellschaft uns fragen, ob wir in jeder Lebensphase, wo die Menschen sind, und da rede ich jetzt auch 80 aufwärts sozusagen, diesen Menschen am Ende des Tages die vollumfängliche Medizin zukommen lassen.“ So tönte Lemke. Der einräumte, dass dies eine hochproblematische ethisch-moralische Diskussion erfordern würde. Allerdings ohne Atempause anfügte: „Wir werden da ranmüssen.“ Von „Menschenwürde“, die die Deutsche Stiftung Patientenschutz anmahnte, weit und breit keine Spur. „Preisbegrenzung“ bei Medikamenten, die Die Linke fordert? Unter dem Druck der Pharmalobby, die der Union bei solchen Szenarien die Bude einrennen würde, mit ziemlicher Sicherheit chancenlos. Die Debatte säge am gesellschaftlichen Zusammenhalt, ließ Linksfraktionschef Sören Pellmann wissen. Träumt der Mann? Dieser Zusammenhalt wird bereits nach Kräften bombadiert. Nicht nur von CDU/CSU, auch von der SPD. Allen voran Politiker vom Schlage Hendrik Streeck.
Nun ist hochbetagt ein dehnbarer Begriff. „Ab welchem Alter soll denn ein Leben aus seiner (Streecks, d. Autor) Sicht nicht mehr schützenswert sein – ab 85, 90, 95?“, fragt Sören Pellmann. Darauf dürfte sich Streeck nicht so recht festlegen wollen. Sein Vorstoß hat etwas mit dem gemein, was auch mit Blick auf die Kassenbeiträge gilt. Nichts ist sicher, nur soviel: Es geht den Menschen an den Kragen ihrer gesundheitlichen Versorgung. Das bedeutet: Kranke, die geheilt oder gut versorgt werden wollen, müssen mindestens mehr dafür zahlen. Und schlimmstenfalls, siehe Streeck, sehen, wo sie bleiben. Der Zugang zu ärztlicher Unterstützung, das scheint sicher, wird mit höheren Hürden versehen. Wer Hürden abbauen will, müsste an die ran, die mit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zuständig sind: An die, die viel und besonders viel Geld haben. Das werden freilich die sein, die mitnichten bereit sind, nach Kontostand zu helfen. Die aber nachher bezahlen können, was anderen verwehrt bleibt. Danke, Hendrik!
Derzeit jagt ein Kürzungs- und Kostensteigerungspalaver das andere. Die Richterskala der Zumutungen, nach oben offen. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche bewegt sich da schamlos im gleichen Fahrwasser wie ihr Parteifreund Streeck. Stichwort „Agenda 2030“. Ohne Fingerspitzengefühl für das, was Politiker wie Streeck lostreten, sägt auch sie am sozialen Ast staatlicher Fürsorge und staatlichen Schutzes. Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag, um beim Thema Geld und Gesundheit zu bleiben, Reiche: Weg damit! Den Kündigungsschutz für Pflegekräfte, von denen man weiß, dass sie dringend gebraucht werden: Weg damit! Zur Rente, deren Finanzierung ins Trudeln gerät, ein Plädoyer für die Jungen, die nicht alles allein tragen könnten: „„Intergenerationelle Gerechtigkeit bedeutet, dass die ältere Generation nicht alle Ressourcen für sich beansprucht. Sonst verliert die junge Generation das Vertrauen in das Leistungs- und Aufstiegsversprechen.“ Also auch hier, immer drauf auf die Alten!
Es braucht nicht den Appell eines älter werdenden Autoren, um den Streecks und Reiches ins Gewissen zu schreiben, dass auch sie einmal älter werden. Das wird sie nicht jucken, die später mal – Dank ihrer politischen Karriere, die sie dummes Zeug reden lassen – gut im Saft stehen werden. Auch dann, wenn ihnen die Hüften schmerzen sollten oder ihnen gar absehbar das Lebensende droht. Sie werden, da darf man sicher sein, über ausreichend Mittel verfügen, um sich solange es irgend geht, aus den Fängen gesundheitlicher Probleme und Gefahren zu winden. Insofern erscheint es einigermaßen hoffnungslos, sie hier ins Boot sozialpolitischer Verantwortung zu holen. Stattdessen wird es Zeit, dass dem Unfug, der sich da breit macht, etwas entgegengesetzt wird, was sich nicht in ewigen Debatten verliert. Mit dem Ergebnis, dass den Menschen, von denen solidarisches Miteinander verlangt wird, die Daumenschrauben immer heftiger angezogen werden. Zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zählt breiter Protest!

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