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Mehr Linke Kraft

Wer aufmerksam nachliest, wird gewahr: Ich bin ein durchaus wohlwollender Beobachter der Partei Die Linke. Nicht diese Art Beobachter, der sich euphorisch der Illusion hingibt, die der „taz“-Autor Daniel Bax mit seinem neuen Buch zum Ausdruck bringt. Wonach sich republikweit ungestüm eine „neue Lust auf links“ auftut. Untertitel: „Woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie unser Land verändern“. Unbenommen ist der phoenixhafte Aufstieg der Partei unter Co-Vorsitz Jan van Akens bei der Bundestagswahl im Februar ein zuversichtlich stimmender Erfolg. Doch ich bleibe dabei, was ich schon mal im „Freitag“ schrieb: Der Rausch des Glücks über ein Wahlergebnis von fast 9 % ist (nahezu) verflogen. Es gab Höhenflüge in Umfragen von 11 resp 12 %. Doch neuere Werte liegen wieder unter 10, gar bei 9 %. Daran ändert auch die Verdoppelung der Mitgliederzahlen nichts. Es gilt, errungene Positivstimmungen in politische Beständigkeit zu transformieren. Da scheint noch eine Menge Luft nach oben.

Von einem „Linken-Hype“ auch in Bayern, wie es die „Augsburger Allgemeine“ dieser Tage tat, mag ich nun wirklich nicht reden. Für wahr: Im Freistaat war Die Linke bislang eine Marginalie. Jetzt steht sie dort laut „Civey“-Zahlen bei 5 %. Damit wäre sie im Landtag vertreten. Gut so. Aber auch die Söder-Hauspartei CSU legte zu. Die AfD kommt immer noch auf 20 %. Man sollte nicht unter Wert verkaufen, dass, so die „Augsburger“, die Linke-Mitgliederschar (erstmals mehr als 9000) innerhalb eines Jahres um etwa das Dreifache gewachsen ist. Und dass vor allem Frauen und Jüngere für Aufschwung sorgen. Sich auch in Bayern eine „sinnvolle Alternative“ (Zitat Sabrina Mayer von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg) zum Söder- und zum Bundesregierungslager formiert. Insbesondere weil, wie es heißt, Die Linke soziale Expertise liefere (auch im Freistaat sind Mieten exorbitant hoch etc.). Und: Die Partei habe sich „professionalisiert“, van Aken mache eine „gute Figur“. Nur wofür reicht das perspektivisch?

Und wie, um bei Bax‘ Worten zu bleiben, verändert dies das Land und kann es das verändern? Allein geht das – ob 9, 12 oder meinetwegen 15 % – nicht. Wer freilich hin zu SPD und Grünen schaut (bundesweit, aber auch etwa in Bayern), muss realistisch sein. Die beiden Parteien schwächeln wie selten. Das hat bei der SPD nicht nur etwas mit dem Eingebundensein in Regierungsverantwortung zu tun. Sondern auch mit einer wachsenden Orientierungslosigkeit. Und inneren Grabenkämpfen, wie sie jetzt bei den Berliner Sozialdemokraten so heftig wie nie zum Ausbruch kommen. In der SPD, aber auch bei den Grünen blättern alte politische Positionen von den Wänden. Die Sozialdemokraten versuchen mit Ach und bisweilen ohne Krach ihren sozialen Anstrich zu wahren – und werden von der Union von der Leiter gestoßen. Bei den Grünen stellt sich zunehmend die Frage nicht nur nach alter Standhaftigkeit, sondern auch nach einem wenigstens halbwegs charismatischen Personal.

Wie, bitte, soll es da gehen, Union und AfD den Garaus zu machen. Und sie gemeinsam von ihren Spitzenwerten runterzuholen? Die Linke müht sich redlich. Doch TikTok-Aktionen verschleißen sich; und wenn man Heidi Reichinnek auf Soicial-Media anschaut? Für mich wirkt das eher bemüht jugendlich-frisch, als überzeugend. Kann man versuchen, Verlass wird darauf auf Dauer nicht sein. Derweil übt sich Linken-Co-Chef van Aken in allerlei populistischen Vorstößen. „Hitzefrei am Arbeitsplatz“, „gratis Leitungswasser“; das klingt wenig nach durchdachtem fundierten Richtungskampf. Im „Freitag“ versuchte gerade Marlen Hobrack, den Ruf nach einer „Luxusvillen-Steuer“, wie sie Die Linke vorschlägt, daraufhin abzuklopfen, was das für den verheerenden Wohnungsmarkt, gegen zu hohe Mieten sowie Baudefizite brächte. Fazit: Nichts. Solange der Markt an sich privat, sprich kapitalistisch organisiert ist, werden ihn Rendite-Haie mit weiter und immer stärker geschröpften Mietern bespielen.

Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet von einer Anfrage der FDP (wer war das nochmal?) bezüglich der Zahl möblierter Wohnungen, die die landeseigene „Berlinovo“ vermietet. Zu, so Vorwürfe, die in der Hauptstadt kursieren, horrenden Mieten und außerdem befristet. Stadtexperten „mussten“ passen. Der „Tagesspiegel“ hat recherchiert. Demnach werden derzeit in Berlin 11.000 (!) Wohneinheiten möbliert und zeitlich befristet vermietet. „Zu Preisen weit über dem Mietspiegel“. Angebote im „Kreuzberger Milieuschutzgebiet“ lägen zB bei 924 Euro für 28 m2. Macht 33 Euro pro m2. Verteidiger dieser Zumutungen verwiesen auf „Studierende, Auszubildende oder auch temporär in Berlin Beschäftigte“, für die eingerichtete Apartments „vorteilhaft“ seien (Zitate „Tagesspiegel“). Kritiker sprechen von Entzug bezahlbaren Wohnraums. Das ist vornehm formuliert. Ob da „Haustürgespräche“, der Stolz der Linken, helfen? Privaten und staatlichen Vermietern müsste, so sagen viele, mal endlich die Bude eingerannt werden.

Weiteres hochexplosives Topthema: die Renten. Dass es in einem Land, das mehrere hundert Milliarden schwere Sondervermögen für Aufrüstung und Infrastruktur auf die Schiene setzen kann, Renter*innen gibt, die in Armut leben: Das ist ein Skandal – und der sollte triftiges Argument für Die Linke sein, schleunigst den Sozialkampf auf die Straße zu tragen. Ist ja gut und schön, dass immer wieder alte und neue Modelle der Altersvorsorge und -versorgung durchgerechnet, verglichen, in die Welt gesetzt werden. Derweil steigen die Pflegekosten und die Kosten, die zu Pflegende begleichen müssen, ins Astronomische. In Belgien wollen die Menschen gegen den „Rentenraub“ in einen dreitägigen Generalstreik treten. Hierzulande? Durchhalteparolen, Kanzler-Geschwätz, SPD-Trost. Für Die Linke eine Einladung zur Offensive. Wenn Protest gegen und Alternativen zur gegenwärtigen Sozialpolitik Gehör finden sollen, dann nicht per Digi-Presse-Statement, sondern via öffentlich größtmöglichem Lärm.

Ich schätze die gepflegte politische Auseinandersetzung in Parlamenten und Medien sehr. Vergangenheit und Gegenwart zeigen freilich, dass Vieles verpufft. Zumal, wenn es nicht um „Kriegstüchtigkeit“ und die Ausweisung von Migranten geht. Sondern um den Kern eines sozialen, solidarischen Zusammenlebens. Wie etwa Wohnung inkl. Mieten und Alters- sowie Gesundheitsversorgung. Was trägt über Tage, Wochen? Wenn ein CDU-Mann wie Hendrik Streeck fordert, dass hochbetagten Menschen quasi der Hahn zum Leben abgedreht wird. Oder ein Kanzler seine bieder-rechte „Stadtbild“-Philosophie zur Tageslosung macht. An Sozialpolitik wird sich die Zukunft des Landes und am Ende auch seiner demokratischen Behauptung entscheiden. Inklusive der Frage, ob wir es zulassen wollen, dass bald schon Nazi-Nachkommen unser Land endgültig in den Boden rammen. Wir können das Ganze freilich auch ignorant runterkochen. Und uns weiter hinter politisch fragwürdigen Benimmregeln verkriechen.

Lea Ypi, albanisch-britische Autorin und Moralsozialistin, stellte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin ihr neues Buch „Aufrecht“ vor. Und wurde in dem deutlich, was sie ehedem der „taz“ mitgab. Dort ging es um Defizite auch der politischen Linken. Statt fundamentale Kritik zu üben neige sie dazu, angesichts von Krisen und Kriegen bestehende Strukturen verteidigen. Dabei seien Krisen und Kriege deren Folge. Wer Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie wolle, werde sie nicht im Kapitalismus, in der Marktwirtschaft finden. Bei allen Problemen bleibe sie aber optimistisch, so Ypi. Nicht so wie ihre Mutter, die seit dem Ende des Kommunismus in Albanien dem Marktliberalismus anhängt. Zugleich aber äußerst pessimistisch sei. Was, so möchte man anfügen, ist der Kapitalismus denn eigentlich wert, wenn er keine Hoffnung stiftet? Genau dort, so Ypi, müsse die Linke ansetzen. Und, sinngemäß, fundamentale Kritik an herrschenden Zuständen nicht dem menschenfeindlichen Hinterhalt der Rechten überlassen.

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