by

Simon Strauß Gebunden

Vielleicht werden sich Viele nicht mehr an die stark wogenden Debatten über den Autor Simon Strauß erinnern. Ist ja auch schon eine Weile her. Ein Beitrag von Maxi Leinkauf im „Freitag“ hat sie mir freilich wieder in Erinnerung gerufen. Darin geht es um Strauß‘ neues Buch „In der Nähe“. Die Nähe ist hier Prenzlau. Und ein Vorstellungsabend gemeinsam mit dem Ex-Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck. Unter der Überschrift „Wessi entdeckt Prenzlau“. Nun, eine wirkliche Entdeckung dürfte das für Simon Strauß nicht gewesen sein. Jedenfalls nicht, was den Osten der Republik betrifft. Er wuchs in der Uckermark auf. Das politische, kulturelle, ja auch emotionale Setting dürfte für ihn also kein Neuland sein. Was auch im Untertitel klar wird. Dass in der Fast-20-tausend-Einwohner-Stadt alle nett beisammen sitzen, inklusive eines mit bescheidener Prominenz ausgestatteten AfD-Mannes, beschreibt, was den Auftritt bemerkenswert macht: Strauß gilt als umstritten.

Um ihn, den Sohn des Schriftstellers Botho Strauß, war es seit den vielen Diskussionen über seine Erzählung „Sieben Nächte“ ein bisschen stiller geworden. Damals aber, Anfang 2018, war es laut um sein Debüt. In der „taz“ warf Alem Grabovac, selbst Autor, Simon Strauß vor, dass da ein „wütender junger Mann“ mit „der Ästhetik und den Inhalten des rechten Randes spielt“. Und dass Medien den Band, der „die Magie des Kampfes und echter Feinde“ heraufbeschwöre, als „neoromantisches Manifest“ feierten. Und dass Strauß in der „FAZ“ (bei der er Redakteur ist) wissen ließ, dass heute Künstler statt sich um die „emanzipatorische Ästhetik zu kümmern“, nur mehr „jämmerliche Untergebene des Konsums und der Moralpolitik“ seien. Wobei, und das insbesondere nahmen ihm Kritiker übel, er den Denkanstoß zu dieser These, wie er sagte, der Vierteljahres-Schrift „Tumult“ entnommen habe. Sie gilt als „neoreaktionär“, andere ordnen sie der „Neuen Rechten“ zu. Liberal kann man ihre Agenda mitnichten nennen.

Jedenfalls entzündete sich an Buch und Hintergründen eine heftige Auseinandersetzung, die sich schon damals an einer Frage entlang bewegte, die bisweilen kräftig an Buchwelten rüttelte und rüttelt: Werden, so Jens Uthoff, ebenfalls in der „taz“, rechte und nationalistische Positionen „im deutschen Literaturbetrieb (wieder) salonfähig?“. Man kann „Sieben Nächte“ ein Buch nennen, „das von einem erzählt, der auszog, um die ewige Jugend zu suchen“, eines, das so klug und berührend ist, dass man ihm auf der Stelle folgen will“ (die Autorin und Journalistin Theresia Enzensberger). Oder ein „leidenschaftliches, angstfreies, traditionstrunkenes, zukunftsgieriges Kampfbuch“ (Volker Weidermann, „Die Zeit“), was auch lobend gemeint war, aber der Sache schon ein bisschen näher kommt. Denn Simon Strauß, der in Berlin den „Jungen Salon“ betrieb und dort schon mal den rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek als Gast begrüßte, operiert durchaus an einer heiklen und allenthalben heikler werdenden Nahtstelle.

Diese Nahtstelle wird umso heikler, als Berührungspunkte zwischen neokonservativen und rechten Positionen eher vielzähliger werden. Und auch romantisch daherkommende Griffe und Rückgriffe leicht in dieses Fahrwasser geraten. Die Schriftstellerin Nora Bossong warnte, als die Wogen um das Strauß-Werk „Sieben Nächte“ hochschlugen, vor überbordenden Angriffen auf Strauß, „dessen Nassrasur“ angeblich „gerade den Weltfrieden bedroht“. Auch andere verteidigten Strauß. Mal als Erben schnöseliger Popliteratur und seelisch verkanteten Großstadtmenschen auf der Suche nach „intensiverem Leben“. Mal in angriffslustigen Worten als jemanden, den man über Gesinnungsprüfung und Rufmord zu Leibe rücken wolle. Nun mag man konzidieren, dass es durchaus auch in der Literaturkritik den Hang gibt, über die Stränge zu schlagen und, wie es bisweilen heißt, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Auf der anderen Seite sollte man Literaten, das wollen sie ja selbst, ernst nehmen.

Wenn man also Simon Strauß und seine Bücher ernst nimmt, sollte man dies auch uneingeschränkt tun. Das erlaubt einen atmosphärischen Einstieg, den Maxi Leinkauf im „Freitag“ anlässlich der Buchbesprechung in Prenzlau gewählt hat. Es erlaubt auch, im eher flanierenden Ton über den AfD-Mann zu schreiben, der nicht zuletzt deshalb kulturinteressiert erscheinen mag , weil er Landrat in der Uckermark werden will. Wenn vom „Kosmopoliten“ Strauß die Rede ist, horcht man freilich auf. Und wenn der Verlagsgesandte von Klett-Cotta davon spricht, dass der Autor sich ins „Offene des Ostdeutschen“ gewagt habe, weil man „ideologische Verkrampfungen“ lösen müsse, erst recht. Ganz unverkrampft zeigt ein Beitrag auf „3sat“ Simon Strauß im Gespräch mit Prenzlauer Bürgern. Sein Idealbild einer Bürgerschaft sei die Polis im antiken Athen, schreibt Leinkauf. Und Prenzlau für ihn möglicherweise „nur eine moderne Vision“ davon. Doch das Ideal der Polis wurde schon von Platon in Zweifel gezogen.

Die Polis, der Stadtstaat, die Bürgergemeinde nämlich könne in ihrem Wesen durchaus auch den Weg zur Tyrannei ebnen. Die Selbstregelung der Bürgerschaft nach Mehrheiten sich nicht nur zum Guten, sondern auch zum Schlechten entwickeln. Das antike Vorbild demnach eines sein, das auch demokratische Schwächen zeigt. Wenn Strauß in der 3sat-Doku in schwärmerischem Grundton berichtet, wie sich die Prenzlauer gegen ein zweites Flüchtlingsheim wehrten – im Hintergrund die „institutionellen Repräsentanten“, die sagten, „müssen wir machen, wird uns angewiesen von oben“, so Strauß, „Pflichtaufgabe nach Weisung“. Wie die AfD dagegen ein Bürgerbegehren initiierte, Berlin quasi ausgehebelt wurde. Und wie Strauß das dann lächelnd auf den Begriff „Widerstandssehnsucht“ bringt und anfügt: „Rechts ist hier nicht nur rechtsrepublikanisch, sondern rechts ist hier auch rechtsrevolutionär.“ Dann kann man nachvollziehen, was es mit den Zweifeln gegenüber der Polis auf sich hatte.

Mit der Rückbesinnung ist es also bei der Betrachtung von Strauß‘ Buchpräsentation so eine Sache. Da schwurbelt er nach Kräften. Bürgerbegehren, runder Tisch, mit Rechten reden statt sie zu schmähen und auszugrenzen – diese Stichworte fallen bei Leinkauf. Strauß sehe sich als „Emo-Ostdeutschen“. Eine Anlehnung an Steffen Mau, so Leinkauf. Der Soziologe Mau hat die emotionale Zugehörigkeit als „Identitätskategorie“ eingeführt. Er wies allerdings darauf hin, dass diese Emotionalisierung insbesondere am rechten Rand der Politik betrieben werde; bis weit in die so genannte „Mitte“ hinein. Wenn also Strauß laut Leinkauf davon spricht, dass das Wort „Ost“ für ihn etwas Romantisches habe und Prenzlau „meine kleine Stadt“ sei. Und der Osten spannender als das, was woanders im Land geschehe, im Osten nämlich gäre die politische Kultur. Dann weckt dies stirnrunzelnde Aufmerksamkeit. Platzeck ist das „ein bisschen zu idealistisch“ (gibt Leinkauf Platzeck wieder). Zu sehr auf Harmonie getrimmt.

Auch Steffen Mau hat „In der Nähe“ besprochen, in der „Zeit“. Über zwei Dritteln seiner Besprechung ergießt sich eher Lob. Über Strauß`Mut, sich ins kleine Prenzlau zu wagen. Sich der Stadt und ihren Menschen zu nähern, wie es der Buchtitel verheißt. Sich ihren Geschichten zu öffnen – und ihrer Geschichte seit der Wiedervereinigung. Am Ende freilich findet Mau, dass sich Strauß doch sehr „zum Propheten“ eines „Kults der Nähe“ mache. Der für „ein Gemeindemodell des lokalen Willens plädiert“. Und mit abgedroschenem „hier Prenzlau, dort die elitäre Blase Berlin“ aufwartet. Lau befragt denn, ob eine derartige „Kleinstadtnostalgie der wohlgeordneten Verhältnisse und der heimeligen Vertrautheit als Antidot für die demokratische Regression“ taugt. Um anzumerken, dass es andererseits „die kleine Politik“ brauche, ohne die die große Politik ins Leere greife. Richtig dürfte aber auch sein, dass die kleine Politik dazu geeignet sein könnte, die große Politik in eine rechtsgestrickte Irre zu führen.

Und genau hier liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer. Natürlich wirkt es auf den ersten Blick übertrieben, Simon Strauß und seinen Hang zur Romantik als etwas zu werten, das zumindest mit einem Bein den Kosmos der „Neuen Rechten“ betritt und bespielt. Doch wie schrieb Markus Steinmayr, übrigens auch „Freitag“-Autor, ehemals in der Zeitschrift „Merkur“: In ihrer Inszenierung treten Vertreter der „Neuen Rechten“ gern als „aufrechte Kämpfer“ gegen das „intellektuelle Vergessen“ auf: „In der deutschen Romantik finden wir Deutschen zu uns selbst. Die deutsche Romantik ist die Entdeckung des Volksgeistes und die Entdeckung der Nationalkultur“, zitiert Steinmayr aus „Das Buch im Haus nebenan“; Co-Autor ist der Rechte Götz Kubitschek. Romantik, das bezeichnet heute einen „sentimentalen Zustand des Gefühlsreichtums, vielleicht auch der Sehnsucht“ (wikipedia). Die Humboldt’sche Verknüpfung von Romantik und Humanität läuft bei Neurechten aber ins Abseits und verblasst alsbald.

„In der Nähe“, das neue Buch von Simon Strauß, kann man denn außer als erzählerische Annäherung an den Osten, Prenzlau, die kleine Stadt und die Menschen darin, auch als romantisch-verklärendes Gegenbild zum aufgeklärten Universalismus verstehen. Als Gegenbild zu einer Gesellschaft, die sich als solche breit zusammenfinden und erklären muss. Wie dies in einem modernen Staat üblich ist. Der Rückzug in die neudeutsche Version der Polis kann unversehens zu einer neurechten Orts-Betrachtung werden, die, so Steffen Mau in einem früheren Beitrag, einer modernen Gesellschaft nicht gerecht werde. Dem Kritiker Michael Eggers (Deutschlandfunk) mangelt das Lob pathetischen Gemeinschaftssinns an klipp und klarer Abgrenzung vom historisch belasteten Begriff der Volksgemeinschaft. Zusammen mit raushörbaren Strauß’schen Ressentiments gegenüber einem elitären Staat, sprich Berlin, steht man unversehens im rechtskonservativen Kulturkampf. Ob das Absicht ist oder nicht.

Hinterlasse einen Kommentar