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Wider Schleierhafte Rentendebatten

Man kann über die Renten in Deutschland und mehr noch über eine Reform des Rentensystems diskutieren. Das ist dringend nötig. Nur nicht, wie sich die Arbeitgeber und in ihrem Schlepptau die Union das vorstellen. Indem sie darüber reden, wie man vor allem die, deren Arbeit es zu verdanken ist, dass die Rentenkassen noch keine wirkliche Insolvenz anmelden mussten, mehr als bisher in die Pflicht nimmt. Durch höhere Beiträge, eine Anhebung des Rentenalters, höhere Hürden für einen vorzeitigen Renteneintritt. Was an der Debatte irritiert: Dass sie von Ideen durchzogen ist, die vor allem an jenen scheitern würden, die ganz vorn dabei sind, die arbeitende und alternde Bevölkerung immer stärker zu belasten. Auf den ersten Blick scheinen die Vorreiter schlau zu argumentieren; aber nur, wenn andere so dumm sind, sich diesbezüglich hinters Licht führen zu lassen. Umso verdienstvoller ist es, wenn da Die Linke und andere das Rentendickicht durchforsten und Licht ins Gestrüpp bringen.

Die Statistiken, die in Umlauf sind, zeigen, dass die Renten in Deutschland nicht zu den höchsten im internationalen Vergleich gehören. Sie rangieren hinten im Feld. Dennoch belasten Rentenzahlungen die Sozialkassen zunehmend. Etwa weil es immer mehr ältere Menschen gibt und immer weniger nachwachsende Beitragszahlende. Dadurch gerät die staatliche Rentenversicherung sukzessive in die Klemme. Die Frage ist freilich, wie man überzeugend gegensteuern kann. Indem man das Renten-Eintrittsalter nach hinten schiebt, vielleicht gar auf 70+? Das würde mehr Beitragszahler bringen. Vorausgesetzt es gibt einen Arbeitsmarkt, der mitspielt. Da darf man allerdings seine Zweifel haben. Menschen, die heute über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, tun dies eher in Sparten mit geringen Einkommen oder per Mini-Jobs, häufig mit sehr begrenzten Arbeitszeiten. Würden sich Unternehmen tatsächlich dafür öffnen, ältere Menschen länger arbeiten zu lassen und dafür anständig zu zahlen?

Die Erfahrungen zeigen, dass die Praxis darauf hinausläuft, ältere und gut bezahlte Arbeitskräfte loszuwerden und sie durch billigere zu ersetzen; abgesehen davon, dass je nach Branchen digitale Umstrukturierungen, KI undsoweiter das klassische Arbeitsangebot fortschreitend ausdünnen. Schon dies macht deutlich, dass eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nur Sinn machen dürfte, wenn Qualifizierung bis ins höhere Alter ernstgenommen würde. Bei denen, die arbeiten, und denen, die Arbeit geben. Über Arbeit für Geringverdiener und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse hinaus. Eine besser finanzielle Basis für Renten kann nur entstehen, wenn es über alle Branchen die Bereitschaft gäbe, das Rentensystem zu stärken. Doch Unternehmen interessiert Profit, nicht das Sozialsysstem. Verwunderlich ist es also nicht, dass ein anderer Zweig der Altersvorsorge ins Blickfeld gerät. Ein Zweig, der gesamtgesellschaftliche Veranwortung ver- oder auslagert: Die private Altersvorsorge.

Wo nicht beispielsweise über Betriebsrenten die gesetzlichen Renten teils merklich aufgebessert werden – was an der Problematik des Rentensystems nichts grundlegend ändert – wird den Menschen attraktiv gemacht, wozu Arbeitgeber nichts beitragen müssen. ETFs zum Beispiel. Also Exchange Trades Funds. Fonds, die aufgrund breiter Streuung die Risiken der Geldanlage mindern sollen. Voraussetzung ist freilich, dass, wer hier investiert, erst einmal ausreichend Einkommen oder Vermögen besitzen muss, um über diesen Markt etwas zur eigenen finanziellen Versorgung im Alter beitragen zu können. Wieviele das sein mögen? Und was dessen geachtet mit den nicht so gut verdienenden Menschen ist? Wird gern ausgeklammert. Schon bei der (staatlich geförderten) Riester-Rente hat man alles daran gesetzt, Zweifel an Ertragschancen zu zerstreuen. Den misslungenen Trick holt man nun wieder hervor. Er trägt auch dieses Mal in der Substanz nichts zur finanziellen Absicherung der Mehrheit der Menschen im Alter bei.

Dennoch wird man von ETF-Angeboten geradezu überrollt. Kommentatoren auf den Wirtschaftsseiten der Medien und allerlei Prominente, die ETFs wegen gestreuter und damit vermeintlich minderer Risiken preisen, geben sich die Klinken in die Hände. Die, die an ETFs verdienen, sowieso. Eine Kolumnistin auf „Focus“ macht sich angesichts von „Neo-Brokern“, die dafür sorgen würden, dass man „seinem Geld via App beim Wachsen zuschauen“ könne, um Vorschläge für ein solidarisches System keine Gedanken mehr. Kapitalerträge einbeziehen, eine „Schnapsidee“. Pläne, Selbständige in die Rentenkasse zahlen zu lassen, eine „Hiobsbotschaft“. Alles in allem ein Versuch, noch mehr Menschen „unter die Knute des Staates“ zu zwingen. Wenn sich die jüngere Generation „vor Altersarmut fürchte“ und ihr der Glauben an die staatliche Renten fehle, warum dann nicht die ETF-Mäuler füttern. Statt das Geld im maroden Sozialsystem zu verbrennen. Das muss man halt nur richtig schmackhaft machen.

Das kann man dann, wenn man darüber hinwegtäuscht, dass sich auch via ETFs eine Menge Geld verbrennen lässt. Täuschung hält auf Dauer nicht als erstrebenswertes Modell. Ergo wird kein Weg um ein seriöses Rentensystem herumführen, dass zugleich in umfänglicher Weise die Idee einer tatsächlich solidarischen Gesellschaft im Auge hat. Wer diese Idee verfolgt, wird zu dem Schluss kommen müssen, dass sich aus einer Gesellschaft mit ca. 46 Millionen arbeitenden Menschen nicht einfach mal Millionen ausklinken können, ohne dass dies Konsequenzen hat. Die Privatisierung sozialer Verantwortung kommt Bessergestellten zu Gute, oft aber nicht einmal denen. Das duale Fehlkonstrukt ist im Gesundheits-Sektor zu bestaunen. Private Krankenversicherer kassieren ab, während die gesetzlichen Kassen in den Seilen hängen. Wer Geld hat, wird mit irreführenden Leistungsversprechen geködert und im Alter geschröpft. Argumente dafür klingen bei genauem Hinschauen wenig plausibel.

Aber was wird nicht Alles getan, um wirklich tiefgreifende und effektive Reformen zu umschiffen. Immer neue Vorschläge landen im Topf nur die Symptome bekämpfender Vorschläge. Der jüngste von Arbeitsministerin Bas. Es könnten doch wenigstens die Akademiker länger arbeiten (und in die Rentenversicherung einzahlen beziehungsweise Rentenzahlungen rausschieben helfen). „Renteneintritt nach Beitragsjahren“, so etwa nennt sich das. Als würden Menschen in unserer angespannten Akademikerwelt noch Zeit haben, im Studium Däumchen zu drehen. Sind Wissenschaftler, die beitragen, ein Land am Laufen zu halten, wirklich so wenig wert, dass man sie für einen späteren Arbeitsbeginn bestrafen muss? Also auch das wieder ein eher bescheidener Versuch, das Rentensystem zu retten. Klingt ungefähr so wertschätzend wie das Ansinnen, Menschen über 80, die erkranken, teure Medikamente zu verweigern und besser den Hahn abzudrehen. Wir sind ein wahrlich einfallsreicher Sozialstaat.

Insofern sind mir fast die lieber, die frech und frei zugeben, von einem Sozialstaat, auch in Form einer sozialen Markwirtschaft, so rein gar nichts zu halten. Und lieber einem knallharten Neoliberalismus huldigen. So wie er gerade in den USA in Politik umgesetzt wird. Da gibt sich der Feind des Sozialen zumindest unverstellt zu erkennen. Und tarnt sich nicht über mittelmäßige Kniffe, die radikalen Sozialabbau verschleiern. Ich kann deswegen die gut verstehen, die der Linkspartei vorwerfen, bei aller Fürsorglichkeit den Sozialabbau per Rentenpaket-Enthaltung allenfalls eine marginale Spanne hinauszögern zu helfen. Um diesem Vorwurf entgegenzutreten, muss Die Linke durchaus etwas tun, wovor andere warnen: Sich radikaler positionieren. Es muss nichts polarisiert werden, wo es längst Pole gibt. Insofern laufen gern geübte Angriffe gegen eine Polarisierung ins Leere. Wo sich Politik anschickt, ihre sozialpolitische Verantwortung auf- und abzugeben, kann der Gegenwind gar nicht rau genug sein.

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