Es ist bemerkenswert, wie sich die Diskussionen über Potenziale der Partei Die Linke entwickeln. Positionen schwanken zwischen einer sozialromantischen Total-Opposition und einer, wenn es denn sein müsse, heroenhaften Mehrheitsbeschaffung für die Union. Bisweilen finden sich die Pole nach Interessenlage in unterschiedlichen Medien, manchmal im selben Medium. Dem „Freitag“ etwa, der für große politische Bandbreite steht. Dort hatte sich unter dem Eindruck der Bundestagsabstimmung über das Rentenpaket der Koalition der Autor Olivier David auf die Seite derer geschlagen, die die Enthaltung der Linkspartei unter ihrer Fraktionschefin Heidi Reichinnek für einen Fehler halten. Weil man damit nicht nur einer an sich fragwürdigen Rentenpolitik den Steigbügel halte, sondern einem insgesamt sozialfeindlichen Regierungskurs. Stephan Hebel dagegen sieht in einem punktuellen Zusammenwirken von Union und Linkspartei durchaus so etwas wie ein Fingerzeig gegen rechts.
Unter der Headline „Wird sich Merz für AfD oder Linke öffnen?“ wird durchgespielt, was es an Alternativen gibt, sollte sich die rechte Partei bei anstehenden Wahlen in ostdeutschen Bundesländern als starke, ja vielleicht sogar stärkste Kraft durchsetzen. Die eine wäre, dass – entgegen aller Beteuerungen von CDU-Chef und Kanzler Merz – demjenigen Unionsager Macht zuwächst, das seit Längerem am Brandmauer-Schwur rüttelt. Merz selbst hatte nach der Bundestagswahl ein Tete-a-tete mit der AfD gewagt. Bei der Verfassungsrichterwahl wurde ebenfalls deutlich, wie biegsam der rechtskonservative Flügel der Union, und sei es über Bande, sein kann. Es würde also nicht wundern, wenn nach Wahlen mehr Nähe zur AfD ertastet würde. Eher unwahrscheinlich ist hingegen, dass sich Unvereinbarkeitspostulate gegenüber der Linken auflösen. Spielarten am Rande, wie sie aus Thüringen und aus Sachsen bekannt sind, dürften eher die Ausnahme bleiben und nicht Regel werden.
Stephan Hebel schreibt, dass Merz‘ Strategie die sein könnte, sich, vorerst jedenfalls, nicht für ein mögliches Zusammenspiel mit entweder AfD oder Linkspartei zu entscheiden. Und dass die Linke unter ihrem Aushängeschild, der Co-Fratkionschefin Reichinnek, gut beraten wäre, eine Haltung wie etwa bei der Rentenpaket-Abstimmung beizubehalten. Im Zweifel also der schwarz-roten Koalition Rückendeckung zu geben, statt sie und damit das Land vor die AfD-Wand fahren zu lassen. Hebel: „Sie wird einerseits zeigen müssen, dass sie trotz entschiedener Gegnerschaft zu Merz und Co. im Einzelfall für Kompromissverhandlungen auch mit der Union zur Verfügung steht.“ Was nicht ausgeführt wird, ist das „Andererseits“. Es steht dort, dass Merz, sollte er auf Kompromisse mit der Linken pfeifen, nicht behaupten könnte, es habe „keine andere Wahl“ als die AfD gegeben. Andererseits: Wäre das ein Triumph – oder könnte Die Linke wegen Taktierei eher dumm dastehen?
Hörbar wird derzeit auch in den Reihen der Linken die Musik vom „kleinen Kompromiss“ gespielt. Und schon als Sieg verbucht, wie im Fall der Abstimmung über das Rentenpaket die Union in die Enge manövriert zu haben. Weil mit Ankündigung der Enthaltung durch Die Linke die Drohkulisse der Jungen Gruppe in der Union, nicht mal ein Minimum an Rentensicherung abzusegnen, eingerissen worden sei. Am Ende hat die Koalition, hat Merz, zugegeben auch wegen des Manövers der Linken die Kanzlermehrtheit gewonnen. Die Linke konnte sich auf die Fahnen schreiben, durch ihr Manöver mitgeholfen zu haben, dass Rentner*innen erstmal nicht schlechter gestellt werden. Doch von dem taktischen Beitrag der Linken redete nach der Abstimmung niemand mehr. Und die sozialfeindliche Politik ist auch nicht nachhaltig aus der Welt geschafft. Dass anderweitig die Koalition zum AfD-Jubel geplatzt wäre, ist ebenfalls nicht gesagt. Und wenn, wäre es mitnichten die Schuld der Linken gewesen.
Die Linke befindet sich, unabweislich, in der Klemme. Entweder sie tut das, was ihr im Grunde niemand verübeln könnte: Sie belässt die Verantwortung für den sozialen Niedergang bei denen, die sie tatsächlich zu tragen haben. Auch auf die Gefahr hin oder im Zweifel mit der Konsequenz, dass dann die Rechten am Ende (also etwa bei Wahlen in Ostdeutschland) profitieren. Oder sie hilft Union und SPD bei Gefahr im Verzug immer wieder, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und büßt dabei eigene politische Konturen ein. Hebel spricht, zu Recht, von einer „wahrhaft großen Aufgabe“. Verlagert im letzten Absatz seines Beitrags „konsequente Opposition“ freilich hinüber in Felder „vor allem auch außerhalb des Parlaments“. Das allerdings klingt dann doch irgendwie ein bisschen verknarzt. Insbesondere, weil es ja darum gehen sollte, in- und außerparlamentarisch am gleichen Strang zu ziehen. Auch mit Blick auf rechts gelten beiderseits schließlich mehr inhaltliche als taktische Aspekte.
Union und SPD haben es mit ihrer sozialfeindlichen Politik einfach zu sehr auf die Spitze getrieben, als dass man ihnen die Verantwortung für die Folgen abnehmen sollte und könnte. Wenn die AfD, außenpolitisch durch Zuneigung für Putin und Koppelung an rechte Trump-Denke angetrieben, innenpolitisch weiter Boden gutmacht, dann eben nicht, weil die Linke zu wenig die demokratische „Mitte“ schützen hilft. Sondern weil die demokratische „Mitte“ sozialpolitisch versagt, das Narrativ antimigrantischer Politik bespielt und beflügelt. Und damit, ob sie es will und zugibt oder nicht, Rechtspopulisten und Rechtsextreme im Land füttert. Die Linke hat durchaus die Aufgabe, die „Mitte“ immer wieder auf diese fatale Dynamik hinzuweisen. Das Bekenntnis zur Kompromissfähigkeit darf aber nicht mit Blankoschecks für ein Weiterso einhergehen. Andernfalls droht ihr das Schicksal der SPD: Ein kaum. reparabler Identitätsverlust. Ohne Aussicht auf nennenswerte Stimmenvermehrung.
Es ist verständlich, wenn sich Die Linke nicht nur, aber auch, darum kümmert, dass der AfD vor allem im Osten Deutschlands nicht der komplette Durchmarsch gelingt. Dass hier auch taktische Erwägungen mit Blick auf die CDU eine Rolle spielen, ist ebenfalls nachvollziehbar. Es muss daran jedoch ein Mindestmaß an Entgegenkommen resp. Zugeständnissen geknüpft sein. Zugleich muss ein Kurs sichtbar werden, der bislang öffentlich zu kurz kommt: Eine deutlich größere Anstrengung, links von AfD und ultra-konservativen Kreisen der Union ein Bündnis zu knüpfen, das sich von Kompromissen weg zu einer eigenständigen sozial-, klima- und außenpolitisch konsequent links-liberalen konstruktiven Kraft entwickelt. Und als solche behauptet. Darauf zu schauen, wie sich die Union zur Linken verhält, mag interessantes Nebengleis sein. Im Grunde ist das verlorene Liebesmüh. Denn eine dauerhafte Beziehung erwächst daraus nicht. Das wäre auch, selbst mit Blick auf die AfD, nicht wünschenswert.

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