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Berlin, Sei Trotzburg!

Für manche ist Berlin JETZT. Gestern war Kapuzentanz. Für manche beginnt Berlin, der Hype um die Stadt, um den Jahrtausendwechsel. Davor: Nachwende-Schaum. Andere sehen den Aufbruch nach dem Mauerfall. Billige Wohnungen kapern, hey. Clubs in Ostverfallbauten. Eigentum fürn Appel und’n Ei. Usw. Ich bin, wenige Wochen vorm messianischen Schabowski-Sprech („…das tritt…nach meiner Kenntnis ….ist das sofort“), noch mit meiner damaligen Flamme den „Schutzwall“ abgeradelt. Start: Skalitzer. Paar Döner vom „Kotti“ entfernt. Tiefes SO36. DAS war Berlin. Der Wilde Westen gewissermaßen. Rüber in‘ grauen Osten nur kurz. VoPo-Stop. Wegen Knutschens vor roter Ampel. So gingen Abenteuer. Aber halt. Bin ich Jahre und Jahrzehnte zuvor nicht auch schon in Berlin gewesen? Opa besuchen. Doppeldecker. Krumme Lanke. Wannsee. Buletten und Kartoffelsalat.

Warum ich das schreibe? Weil „Monopol“ einen Disput wiedergibt. Kulturguru Diedrich Diederichsen versus TIP-Blabla Jacek Slaski. Diederichsen, Bj 1957, ein bisschen Wie-der-späte-Wolfgang-Neuss-Look. Slaski, Bj 1976. Um die Wende quasi noch Eierschale. Streiten sich über die Nun-Hauptstadt. Wann war nochmal Boheme? Wann begann der Ausverkauf? Ist noch Kunst&Freiheit oder schon banale Geldmaschine? Wann darf ein Lamento sein, wann ist billige Larmoyanz? Wann war Imbiss in, ist Sterne-Resto out? Wann authentischer Rückblick, wann verschwurbelte Nostalgie? Wann war subversiv, ist grad geiler Opportunismus? Ist Willy Brandt Berlin oder eher Wowereit? Ton, Steine, Scherben oder Rosenstolz.? Wo furzt die Szene, bläht sich der Blasen-Bauch? Diederichsen schreibt sich im US-Magazin „Artforum“ klugklingend die Finger wund. Slaski retourniert beleidigt schwach.

Ich bin vor eineinhalb Jahren nach Berlin gezogen. Letzte Strecke Leben an der Spree. Das wollte ich, will ich. Back to the roots on Teil of Family. Der Vater meines Vaters wohnte erst in der Mittenwalder (yipiiehhh), dann in Mariendorf (oooohhhh). Wir wohnen Prenzlauer Berg. 26€/m2. Und werden nicht müde, zu betonen: Im Norden. Nicht Kollwitz, nicht Wins, nicht Bötzow. Dafür nahe der Bornholmer Brücke. Histo-Point. Bilden wir uns was drauf ein, hier zu sein? Iwo. Dennoch werden Freunde (mehr als Freundinnen) nicht müde, zu diederichsen. Prenzlberg, ja, ja…früher. Damals, damals. Heute? Gentri-Kiez. Wie Kreuzberg. Ich sagte mal leise New York. Ach du Kacke. Ein shitstorm ist ein laues Lüftchen. Die Metrople wird heillos runterprovinzt. Die Platte plattgemacht. Kinderwägen. Lastenräder. Bio-Gemüse. Hannes-Roether-Mäntel. Cafe auf Englisch. Kannste in die Luft jagen.

Boheme mal farbechter? Heute wäscht sie sich flugs ab. Oder lässt sich abwaschen. Damit hat Diederichsen ja recht. Jedenfalls mündet unkonventionelle Romantik schneller denn je in konventionelles Da-Sein. Boheme bloß käufliche Attitüde, mag sein. Aber war das wirklich je anders (so ein bisschen die Slaski-Frage)? Oder geht der Prozess heute nur schneller, weil alles irgendwie schneller geht? Anno Dunnemals haben linke Freaks für ein paar Mark nach Besetzungsflash ein Miezhaus in Kreuzberg gekauft. Heute ist es, saniert, Millionen wert. Ein Verkaufsschlager aus gold. Der klingelt auch. Hat gedauert. Geht heute überschall. War/ist aber auch nichts weiter als „gentri“. Oder? Es gibt Führungen dazu. Echte Guides. Mit Tränen in den Augen. Und schon ist man um die Ecke. In Markthalle Neun. Und trinkt sich einen. Gegenüber alternativer Friseur. Haarschnitt 100 €. Kennenlernpreis.

Fataler scheint, worauf D.D. auch eingeht. Dass der Schutz, den selbst aufstrebende Bohemiens genossen, verloren geht. Sie kommen, sehen, siegen. Aber als was? Kreativität, ein pekuniäres Verhängnis. Die einen Fettaugen, die anderen Stütze. Man macht Feuer – und verbrennt. Non-Konformismus wird Konformismus. Das Überleben zu Butter-Lindner. Gestern noch Maybachuferschmuddel, heute Spree-Deluxe. Hoppla, wollten wir das? Egal, schon passiert. Das krempelt um. Auch Berlin. Aber was haben wir erwartet, Diederichsen? Dass alles eingefroren wird? Man hat beim Auftauen geholfen. Auch die Boheme: Empfänglich. Jedenfalls mehr als empfindsam. Das ist es doch, was wir heimlich wollten. Das eigene Grab graben. Im Glauben an Exklusivität. Und nun: Stangenware. Aber Alleinstellungsmerkmal Berlin ist das nicht. Nix zum Indenbodenstampfen. Punkt für Slaski.

Wirklich Spiegelbild wird D.D. hier: Dass mehr unter die Räder gerät, als beschönte Boheme-Kultur. Nämlich Kultur an sich. Streitkultur. Heißlaufende Diskurse. Legitime Provokation. In den USA werden Gefängnisse dafür gebaut. In Hallen, Universitäten, auf Plätzen. Unsichtbare Stacheldrähte. Auch in D, auch in B wird versucht, Kriege gegen Kultur anzuzetteln. Spielräume werden eingeengt. Auf Türen Zettel. Staatsräson. Mehr Aus- als Einladungen. Gesinnungschecks. Hasenfüßerei. Intellektuelle auf Abruf. Eine Melange, mehr als beängstigend. AfD-Vorhutmäßig. Das betrachtet, ändert sich wirklich was zum Schrecken, Slaski! Passt aber nicht in die TIP-Veranstaltungshinweise. Hat alles dort begonnen, wo unangepasste Kultur staatliches Hausieren damit hinnahm? Nicht merkte, wie sie das eigene Haus untergrub? Und nun haben wir das Echo? Gewissermaßen alles im (W)Eimer?

Diederichsen, gute Analyse, aber Ausweg? Slaski, entspannt, aber harmlos. Es geht kein Weg vorbei: Gibt nur das Berlin, das wir haben. Und Berlin als Trotzburg. Wenn man will. Der Kulturkampf, den FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube beim Habeck-„Leuchten“ im Berliner Ensemble nicht wahrhaben wollte, ist da. Wer die Sicht von Diederichsen teilt, sollte sich nicht wegducken. „Wir“ haben ihn nicht eröffnet. Auch die Boheme ist nur mittelbar involviert. Es gibt Rösser und Reiter. Es ist, anders als es im Gespräch auf der Bühne des BE schien, kein Abstraktum, keine Schimäre, über die zu reden ist. Über die geredet werden muss. Mit allem, was zur Kultur gehört. Ja, Jürgen Kaube, auch Migration, demokratischer Diskurs, Empathie. Um Beispiele zu nennen. Man kann den Hasen geben, der nur diesen Namen kennt. Und denken, alles Theater. Aber Obacht, im BE spielt Bert Brecht!

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