„Tatort“ – nun, die Meinungen gehen auseinander über das Doppel am Sonntagabend in der ARD. Ich fand Story, Verfilmung, Schauspieler super. Andere beurteilen den Drogen-Thriller zurückhaltender. Für die „taz“ war der deutsch-niederländische Co-Krimi „drei Stunden Langeweile“. Die Autorin Anne Haeming kam zu dem Schluss: „Besser was anderes tun“. Dröge, was da zu sehen war. Es ist Kritiker*innen ja ganz und gar unbenommen, über jeweilige „Tatort“-Fälle herzufallen. Alles subjektiv. Zu schreiben, die Geschichte sei „randvoll mit Typen: ranzigen, schreienden, alternden, testosteronstrotzenden Männern“, und die niederländische Kommissarin, gespielt von Gaite Jansen, nur am Rande der Abstrafsuada zu erwähnen, scheint mir freilich ein Hinweis darauf, dass das Problem hier tiefer liegt. Ich will nicht weiter ins Detail der Gedanken gehen. Wenn die Männer so sind, wie beschrieben, scheint mir der „Tatort“ allerdings einigermaßen realitätsnah. Müsste Haeming ja eher gefallen.
Ich weiß nicht, ob der „Freitag“ nicht nur Leser-, sondern auch Autoren-Abos hat. Also Autoren quasi ihre Ansichten über etwa die Weltlage zwecks Erfüllung des Abos bis zum Gehtnichtmehr inhaltlich strecken können. Sollte dem so sein, dann sehe ich freilich den Politologen Johannes Varwick ganz oben auf der Abo-Liste. Ich weiß nicht zum wievielten Mal der Fachmann für Krieg und Frieden das Ende des Russland-Ukraine-Konflikts herbeifabuliert hat. Der neueste Beitrag, überschrieben mit „Ausblick: Im Jahr 2026 könnte der Ukraine-Krieg wirklich zu Ende gehen“, ist jedenfalls kaum mehr als ein Abklatsch vorhergehender Beiträge von Varwick. Der Teaser verrät, wiederholt, die USA hätten viel bewegt. „Kriegsmüdigkeit“, „Kursverluste“ bei Rüstungsaktien, diplomatische „Bewegung“. Das sind die Beschwörungsfloskeln, mit denen Varwick hantiert. Die US-Administranten als „entscheidende Gamechanger“. Und die Europäer als stets bremsende Kraft. Das Setting ist mittlerweile arg strapaziert.
Einher geht damit das Narrativ, dass Europa Russland weiter als „Reich des Bösen“ betrachte (Varwick, „Freitag“, am 11.12.2025), NATO-Generalsekretär Rutte eher in die 80er Jahre zurückfalle, Politiker wie der deutsche Außenminister Wadephul dauernd beschwöre, wie „aggressiv“ Russland sei, kurzum: Man im europäischen Westen nach wie vor die militärische Auseinandersetzung und damit die Haltung des ukrainischen Präsidenten Selenskyi befeuere, als sich der „nicht mehr übersehbaren Abkehr der USA von bisherigen Glaubensbekenntnissen transatlantischer Politik“ zu stellen. Sprich dem Primat der Diplomatie. So wird denn der 28-Punkte-Plan der USA, von dem freilich nicht sicher zu sein scheint, ob er nicht ein copy and paste aus dem Kreml ist, als brauchbarer „Rahmenplan“ für einen Friedensschluss gewertet (Varwick, „Freitag“, 24.11.2025). Die Liste von Beiträgen in diesem Duktus ließe sich ausweiten. Den Realitäten kommt man kaum näher. Varwick aber schreibt und schreibt.
Bellizistische Friedensskeptiker, friedensdusselige Antimilitaristen – es scheint mir, als würden sich „Experten“ zunehmend in Glaubensgemeinschaften ansiedeln. Oft mit Hang zum Sektenhaften. Es ist der „Experise“ nicht selten immanent, dass sie sich nicht selbst genügt. Sondern dass sich ihre Geburtshelfer geradezu pathologisch an „Erkenntnisse“ klammern, sie wie Helikoptereltern umkreisen und unentwegt aussenden. Sie würden, wenn es denn sein könnte, ihren Output an der Börse handeln. Um am Ende als Gewinner dazustehen. Wie es aber an Börsen so ist: Die Kurse schwanken stark. Die Kriegs- und Friedensaktien sind volatil. Es gibt keine Fonds, die dauerhaft belastbar sind. Das freilich wäre eine Erkenntnis, die zur Folge hätte, auch mal Ratlosigkeit zum Standpunkt zu machen. Nichts, aber auch gar nichts, deutet darauf hin, dass Frieden in der Ukraine greifbar nah wäre. Und dafür gibt es nicht nur einen, dafür gibt es vielfältige Gründe. Trump, Putin, Selenskyi, die EU, Merz.
Dass es weihnachtet, sieht man auch daran, dass Texte erscheinen, die einerseits zum Widerstand anhalten. Andererseits der „Zartheit“ der Widerständigkeit eine Bresche schlagen wollen; so etwa ein Text von Elsa Koester, ebenfalls im „Freitag“. Dem hier bescheinigt sei, dass er seinem Ruf treu bleibt, möglichst facettenreich zu sein. In sozialromantisch-revolutionärem Jargon versucht Koester nahezulegen, etwa einem Erstarken der Rechten „nicht nur antifaschistisch“, sondern mit der „Antithese zum Faschismus“ zu begegnen. Aufgepeppt: „Der Angriff heißt Kriegstüchtigkeit. Widerstand heißt Zartheit“. Dem Wofür solle mindestens genauso viel Gewicht gegeben werden wie dem Wogegen. Dem kann man in zimtgeschwängerten Tagen durchaus zustimmen. Wäre nicht das Letzte, womit eine AfD und Anhänger in die Schranken gewiesen werden könnten, „Zartheit“. Ihr Kalkül, nur radikale Polarisierung helfe siegen, sollte man nicht unterschätzen. „Zartheit“? Klingt mir zu kitschig.
Koester zitiert die kanadische Aktivistin Naomi Klein. Die keinen Geringeren als Karl Marx anführt. Der sagte: „Verändert die Welt.“ Oder, so Koester weiter mit Klein, die wiederum den französischen Sturm-und-Drang-Lyriker Arthur Rimbaud wiedergibt: „Verändert das Leben“. Nur ist das leichter gesagt, als getan. In Zeiten, in denen uns Konflikte mit einer Härte begegnen wie im Falle Russlands und der Ukraine oder im Nahen Osten. In Zeiten, da jene Protagonisten, die Konflikte in die Welt rammen und anheizen, bislang ebenso wenig zu demokratischer, menschlicher und friedenspolitischer Räson zu bringen sind, wie vermeintliche Friedensstifter zu entsprechenden lösungs- und wirklichkeitstauglichen Strategien. Wir finden eine zerrüttete Welt vor, in denen Perspektiven, sobald sie geäußert sind, auch schon unter autokratischem Wahn und dazugehöriger Gewalt begraben werden. Die allemal randvoll ist mit Typen, wie sie Anne Haeming in Sachen „Tatort“ beschrieben hat.
Ratlosigkeit scheint mir das Gefühl zu sein, dass zunehmend angemessen ist. Kriege sind da „nur“ die Spitze der Ursachenskala. Ginge es nach der Bundesregierung, wäre „mehr arbeiten“ eine Haltung, die dem Grübeln abhelfen könnte. Wem das nicht hilft, der kann ja demnächst zum Therapeutikum höherer Kassenbeiträge greifen. Oder sich mit dem Ausverkauf diskursiver Kultur die Falten aus der Seele cremen. Was laut Hundeforscher Martin Rütter bei Vierbeinern gegen Silvesterstress hilft, könnte vielleicht auch uns Lasten von den Schultern nehmen: Ein Schluck aus der Pulle. Wenn der Böllerlärm vertreibt, dann vielleicht ja auch den unablässigen Lärm hilfloser Politik. An Weihnachten auf keinen Fall „Tatort“, sondern Zartheit. Zum Jahreswechsel dann mit Hunden unters Sofa und Eierlikör saufen. Die Neujahrs-Antithese zum Faschismus: AfD-Kläffer zärtlich darauf hinweisen – Wir müssen draußen bleiben. Aber brav und keine Sorge. Herrchen Höcke kommt gleich.

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