Ich weiß nicht, ob es Empathie ist. Oder doch eher eine Art Ablass-Handel. Jedenfalls spenden Tausende, was sag ich: Hunderttausende Menschen jedes Jahr eine Menge Geld an gemeinnützige Organisationen. Viele von ihnen füllen Lücken, die unser fürsorglicher Staat ins soziale Gefüge unserer Gesellschaft schlägt. 12,5 Milliarden Euro wurden 2024 in Deutschland laut dem „Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen“ für „gemeinnützige Zwecke“ gespendet. Ein „taz“-Kolumnist hat dieser Tage zudem überschlägig errechnet: Würden die Stunden, die Menschen in unserem Land an ehrenamtlicher (also unbezahlter) Arbeit leisten, in Mindestlohn gerechnet, käme (bei 30 Mio Freiwilligen á 200 Stunden p.a.) eine Summe von 77 Milliarden zusammen. Volkswirtschaftlich eine Riesenentlastung. Die jedes Jahr zu Weihnachten vom Bundespräsidenten belobigt wird. Was freilich zynisch ist. Denn (zu Recht) gelobt wird im Grunde, dass der Staat hier nichts Geringeres als sozialpolitisches Versagen tarnt.
Steinmeier & Co mögen sich ihr Lob an den Hut stecken! Zumal das Lob einhergeht mit Forderungen, die Menschen in Deutschland mögen doch länger arbeiten. Und mit wachsenden Sozialabgaben die Gesundheits- und Rentenkassen schonen helfen. Sorry, Menschen arbeiten länger. Längst. Millionenfach. Umsonst. Niemand zahlt ihnen einen Cent. Arbeit 65+, das ist nicht Ausnahme, sondern vielfaches Engagement . Nur fällt ehrenamtliche Arbeit, die auch viele Ältere leisten, bis auf besinnliche Zeiten, in denen aus Schloß Bellevue stets auf Neue Lobeshymnen tönen, nicht ins Gewicht. Weder pekuniär, mit Blick auf die Sozialtöpfe. Noch mit dem Hinweis drauf, dass hier Gräben geschlossen werden, die der Staat sozialpolitisch aufreißt. Stattdessen tönt aus Ministerien und Arbeitgeberverbänden, dass man arbeitsmäßig mal ein bisschen draufsatteln möge. Das Ganze wird flankiert mit Verweis auf Nöte nachkommender Generationen. Das ist, Klartext!, eigentlich schäbig.
Warum machen wir es nichtmal so: Nehmen wir die rund 86 Milliarden Euro an Verteidigungsausgaben, die beispielsweise für 2025 angefallen sind, und bezahlen mit dem Geld die Menschen, die ehrenamtlich tätig sind. Sagen wir: mit Mindestlohn. Und finanzieren einen Teil Verteidigungsausgaben aus Spenden. Lassen wir Soldat*innen ehrenamtlich arbeiten. Und schauen, wie es hier um die Empathie der Bürger*innen bestellt ist. Wenn ihnen die Verteidigung eines sozialpolitisch rettungsbedürftigen Landes wichtig ist, müsste das zu stemmen sein. Aus moralisch-militärischer Fürsorge. Wenn nicht, muss sich Minister Boris Pistorius halt einen neuen Job suchen. Das machen viele, die wegen fehlender Nützlichkeit in die Röhre schauen. Also kein Problem, oder? Drehen wir den Spieß um. Und helfen der Wahrheit ans Licht: Menschen 65+ arbeiten schon längst länger. Ohne dass irgendwer dafür irgendetwas zahlt. Nur gilt das als selbstverständlich. Wird kaum hinterfragt.
Wir leben in einem System, in dem neoliberale Unverschämtheiten, die der Bevölkerung aufgebürdet werden, nach wie vor zur Realität gehören. Was Menschen wie, wo und zu welchen Bedingungen leisten, gilt als gesetzt. Dass sie auch im Rentenalter wertvolle Arbeit verrichten, ohne je einen Cent dafür zu sehen, wird wie ein Naturgesetz behandelt. Und ignoriert, wenn über Arbeit, Sozialleistungen und Verantwortung geredet wird. Diese Menschen und das, was sie dem Staat an Entlastung bringen, werden in Bilanzen herausgerechnet. Tauchen in Debatten nicht auf. Dass wir diese Menschen bis auf Streicheleinheiten leer ausgehen lassen, während wir Milliarden in Rüstung pumpen, deren Notwendigkeit behauptet, aber nicht erwiesen ist, ist nichts weniger als ein Skandal. Wir lassen uns von billigen Narrativen täuschen. Und fügen uns hinein, als wäre es Schicksal. Ist es nicht. Es muss endlich Schluss sein damit, dass wir uns fragwürdigen Lesarten fügen, als wären sie gottgegeben.
Milliarden bleiben dem Staat, seinen oder privaten Einrichtungen erspart, weil jene, die schon ein Arbeitsleben hinter sich haben, weiterarbeiten. Ohne dass ihnen die Politik das oktroyieren muss. Oder nahelegt. Sie helfen der Gesellschaft, die sonst in vielen Bereichen brachläge, dass sie einigermaßen über die Runden kommt. Sie nehmen nichts dafür, obschon es ihre Arbeit allemal wert wäre. Während in andere Bereiche Milliarden fließen, deren Wert beschrieben, aber nicht belegt wird. In denen etwa Rüstungskonzerne Milliardengewinne einstreichen, worüber sich raffgierige Aktionäre freuen, Sonderabgaben Fehlanzeige. Die Menschen, die dort mit Arbeit Geld verdienen, könnten es anderswo besser – und könnten sinnhafter helfen, auch den Sozialsystemen. Der Kreislauf unseres Handelns, des wirtschaftlichen wie des sozialen, ist aus den Fugen geraten, wird nicht in Frage gestellt, angetastet. Statt dessen bewegen sich vorgeschlagene „Lösungen“ bisher in immer gleichen Kreisen.
Unsere Gesellschaft könne nicht weitermachen, wie bisher. Darin teile ich, was an Erkenntnissen durch die Republik schwirrt. Auch Sprüche, dass wir die Zukunft mehr schützen, uns anders und neu aufstellen müssen, könnten von mir sein. Was das bedeuten sollte, da bin ich freilich Lichtjahre von Vielen entfernt, die hier Erkenntnisse und vermeintlich notwendige Konsequenzen zum Besten geben. Ja, wir müssen uns neu aufstellen. Vor allem müssen wir neu und gänzlich anders denken. Gesellschaftliche Verantwortung neu benennen. Dem neoliberalen Geschwätz trotzen. Das immer wieder auf das Gleiche hinausläuft. Den Schutz offenbar unantastbarer privater Geldmaschinen nämlich. Und dem Ausgeliefertsein der anderen. Neu denken muss ganz neu denken heißen. Nicht nur unternehmerische Bilanzen, sondern auch die Bilanzen der gesamten Gesellschaft neu lesen. Und Solidarität neu ordnen. Statt ewig an Weihnachten von Bellevue Mut und Durchhalteparolen auszusenden.

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