by

Die Mosaik Rechte

Von der „Mosaik-Linken“ ist in Kreisen der Linken immer wieder die Rede. Geprägt hat den Begriff dort der Gewerkschafter Hans-Jürgen Urban. Der IG Metall-Mann, der auch im Kuratorium des „Institut Solidarische Moderne“ sitzt, versucht mit dem Begriff die Notwendigkeit zu beschreiben, linke Kräfte unterschiedlichster Couleur zu einem Ganzen zusammenzufügen. Und, so ein Beitrag von Juliane Hammermeister, der in der Zeitschrift „Luxemburg“ erschien, einen „Kooperationsverband“ zu schaffen, der „trotz vielfältiger Spaltungen“ die Linke zu einem „politischen Projekt zusammenfügt“. Der Beitrag erschien im Juli 2021. Seitdem ist einige Zeit vergangen. In der noch immer an derlei Ideen gearbeitet wird. Wer den Beitrag liest, wird angesichts der Komplexität, mit der hier zu Werke gegangen wird, und bei aller theoretischen Einsicht, die Hoffnung auf eine Vision von der „Mosaik-Linken“ aktiv hüten müssen. Denn die Rechte, voran die AfD, hat ihr Mosaik längst zusammengesetzt.

In diesem Mosaik spielen viele Seiten, Lager, Kräfte eine Rolle. Vor allem auch solche, die sich nicht gerne rechts oder rechtskonservativ verorten lassen. Dazu zählt auch das neue alte „Bündnis“, das ehedem von Sahra Wagenknecht aus der Taufe gehoben wurde. Dass unter seinem neuen Namen „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“ und seinem neuen Vorsitzenden Fabio de Masi nicht weniger fragwürdige Politik-Pfeiler aufstellt, als dies unter seiner vormaligen Gallionsfigur der Fall gewesen ist. Nicht Alles und Alle nämlich, die in ihren sozialpolitischen Positionen als links erscheinen, sind es auch. Dass es den Menschen im Land besser gehen möge, mit diesem Wunsch ziehen Rechte wie Linke durch die Republik. Wie demokratisch tragfähig ihr Ansinnen ist, wird allerdings erst am politischen Beiwerk klar, das vielen Hauptanliegen ist. Bei der AfD etwa ihr fremdenfeindlicher Kurs. Und ihre Visionen von einem autoritären Staat, die vorerst noch unter „Meinungsvielfalt“ laufen.

Beim BSW ist es etwa der offen russlandfreundliche(re) Drall, sind es die alten Wagenknecht’schen Auswürfe, in der Migrationsfrage einen restriktiven Kurs steuern müssen, sind es diffuse Eliten- und Systemvorbehalte etc., die verfangen sollen. Wer dies mit Signalen verknüpft, wonach das BSW zB in Mecklenburg-Vorpommern bereit sei, einen AfD-Ministerpräsidenten mitzuwählen (so die „taz“, die einen Bericht der „Ostsee-Zeitung“ dazu anführt, eine Nachfrage beim BSW „blieb unbeantwortet“), weiß, wie es um die politische Kern-DNA der de-Masi-Partei bestellt ist. Die immer wieder durch Statements auffällt, die nach links, mehr aber doch nach rechts biegsam sind. Und, wie die AfD, auf populistische Züge springt. Nicht aus taktischen Gründen. Sondern weil so gedacht wird. Auch Journalist*innen, die dort schreiben, wo man linken Liberalismus vermutet, tragen bisweilen durch offenbare BSW-Nacherzählung zu fragwürdigen Nähe-Beziehungen ins Verharmloser-Spektrum bei.

Das Verharmloser-Spektrum wiederum bekommt immer mal wieder prominenten Zulauf. Das machte jüngst ein Interview der „taz“ mit Schriftstellerin und SPD-Mitglied Juli Zeh deutlich. Die Autorin, die in einem kleinen Ort in Brandenburg zuhause ist und meinte, „ich bin nicht der Heldinnen-Typ“, verschanzt sich derart sympathisch hinter einer Haltung, die solidarische Nachsicht für die erkennen lässt, die bei der AfD ihr Kreuz machen. Auf die Bemerkung der „taz“-Fragenden, dass Zeh doch umgeben sei „von Leuten, die eine mindestens in Teilen verfassungsfeindliche Partei gut finden“, sagte Zeh ausweichend: „Die Menschen hier finden vor allem die anderen Parteien schlecht“. Diese Aussage kann man reihenweise bei AfD-Verharmlosern finden. Anders, so Zeh an anderer Stelle, „als immer mal wieder berichtet wird, ist der durchschnittliche AfD-Wähler glücklicherweise kein Rechtsradikaler“. Man könne daraus „nicht ableiten, dass alle gegen die Demokratie sind.“

Es kommt dann noch allerlei anderer Kram von dieser Gattung Naivität, die, wenn es ins Detail geht, zu einer Sprech/Denk-Taktik gerät, die wie aus dem „Handbuch für AfD-Dummies“ gespeist scheint. Mit Ressentiments gegen (westliche) Eliten, die freilich auch aus dem Lager Linker geschöpft worden sein könnten, wird Menschen, die man für sich gewinnen will, rechter Sand in die Augen gestreut. Die „oben“ schaffen es nicht, also muss ihnen von „unten“ Dampf gemacht werden, hört sich irgendwie gut, ja fast revolutionär an. Doch mit derartig oberflächlicher Kritik an Eliten&Co haben schon die Nazis ihr Rattenfängertum ausgebreitet. Läuft unter „gesunder Menschenverstand“, der an jeder Straßenecke bemüht wird, wenn es intellektuell schwierig wird. Die Tatsache, dass im Osten Deutschlands mittlerweile rund 40 Prozent der Menschen für die AfD sind, kann freilich mit Verstand nicht viel zu tun haben. Das könnte auch eine Gesprächspartnerin wie Juli Zeh wissen.

Der Hamburger Marc Raschke, der sich als „Journalist und Kommunikationsexperte“ landesweite Anerkennung verschafft hat und neuerdings „Demokratie-Shows“ organisiert, um Zeichen gegen rechts zu setzen, hat sich zwar maßvoll, aber doch erschrocken über Juli Zeh gezeigt. Die „persönliche Dorfbeobachtungen“ zur „politischen Diagnose“ überhebe. Und freundliche Grüße durch Nachbarn als Hinweis darauf nehme, dass es in den Köpfen dieser Menschen gar nicht so schlimm aussehe, wie vielerseits unterstellt. Ich würde nicht sagen, dass Zeh hier eine echte politische Diagnose wagt. Gerade der Rückzug auf den Beobachterstatus aber ist politisch. Weil sich dem viele, die nicht Farbe bekennen wollen, anschließen können. Und zugleich intellektuell aus dem Staub machen. Das ist auch beim Zeh-Kollegen Simon Strauß (ich schrieb es) geübte Disziplin. Der Nachbar grüßt einen, kann also kein arger Rechtsradikaler sein. Das grenzt allerdings schon knapp an geistiger Nötigung.

Die Mosaik-Rechte baut ihr Steinchen-Reich aus. Ohne dass es die Steinchen merken. Ohne jedenfalls, dass es ihnen umfänglich bewusst ist. Das BSW, das signalisiert, dass man gewillt sei, einen AfD-Ministerpräisdenten mitzuwählen. Autoren, die sich in gefühlsduseliger Zugewandtheit der Harmlosigkeit auf dem rechtsdriftenden Land verschreiben. Und eine Münchner Sicherheitskonferenz, deren Vorsitzender, Wolfgang Ischinger, nun wieder, nach zweijähriger Pause, der rechtsextremen AfD eine Einladung für Februar zusendet. Oder zusenden will. Denn laut „tagesschau.de“ hat Parteichefin Alice Weidel noch keine Einladung erhalten. Aber der Prozess sei wohl „noch nicht abgeschlossen“, wie sie sagte. Dass Christoph Schwennicke auf „t-online“ in einem „Pro“ die Einladung richtig findet und – welch doofe Ironie – dabei ausgerechnet auf Juli Zeh verweist („Ausgrenzung mache die AfD nur stärker“), habe ich nicht bestellt. Aber es vervollständigt meine Gedanken zum Bau der Mosaik-Rechten.

Schwennicke verweist nicht nur auf Zeh, sondern auch auf den ehemaligen deutschen Bundesinnenminister Otto Schily – und darauf, dass beide SPD-Mitglieder seien. Nun, das macht die Vorstellung von der Mosaik-Rechten nur noch virulenter. Beide stünden „von Haus aus nicht in Verdacht, der neuen Rechten irgendwie nahezustehen“, so Schwennicke. Genau das erhebt sie zu dankbaren Vermittlern der Nachsicht gegenüber rechts. Ischinger, so Schwennicke, habe „ein Machtwort gesprochen, einen Bann gebrochen“. Das beschreibt nicht eine Lösung, sondern das Problem. Was Nilofar Breuer denn in ihrem „Contra“ klar macht. In dem sie darauf verweist, dass die AfD unter Beobachtung des Verfassungsschutz stehe und Putin-Narrative aufgreife. Selbst CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sehe darin ein Sicherheitsrisiko. Es werde, unter anderem, auch über Abschreckung gegen autoritäre Regime in München diskutiert. Und über Demokratie. Das jetzt mit der AfD? Ein Hohn.

Das Einsickern, Hofieren und/oder Verharmlosen der Rechten, das Nachsehen bis in Teile des liberalen Spektrums von Politik und Kultur hinein, zeigt, dass die Rechnung der AfD, über ein Mosaik von Möglichkeiten ihren Einfluss auszubauen, aufzugehen droht oder aufgeht. Nachsicht mit den Nachsichtigen könnte aus Gründen möglicher Ohnmacht oder Angst geübt werden. Aber die Lage ist zu ernst für derlei Übungen. Wenn die Idee von der „Mosaik-Linken“ Sinn über das Theoretisieren eines linken, Detailstreitigkeiten überwindenden politischen Projekts hinaus haben soll, dann wird es Zeit, sich aus Denkgruppen hinaus in aktivistische Aktionsfelder hinein zu bewegen. Gewerkschaften, von denen bislang eher nichts bis wenig dazu zu hören ist, obschon sie ein originärer Ausgangspunkt für eine solche Bewegung sein könnten, sollten hier voranschreiten. Ulrich Schachtschneider hat zur „Mosaik-Linken“ im „Forum“ des „Institut Solidarische Moderne“ überzeugend vorgelegt.

Die Tatsache, dass es der AfD und anderen Rechten offenbar gelingt, ihre Aktionsfelder sukzessive in die Breite zu treiben, bis hin in intellektuelle Kreise, in Kultur und in politische brisante Bereiche wie die Münchner Sicherheitskonferenz, ist nichts weniger als alarmierend. Die Strategie über Verharmlosung und ein Aufweichen der Grenzen hin zu rechten Unionsflügeln und zum BSW ist bislang aufgegangen. Es scheint, als folgen die allenthalben zu beobachtenden Verharmlosungsbilder, die geliefert werden, vor allem aus dem Osten der Republik, einem konvergenten Kalkül, dem Extremen im eigenen Lager durch Beschwichtigung und menschenfreundliches Nachsehen erst recht den Weg zu bahnen. Nachsehen, Verständnis und Beschwichtigung sind also im Zweifel sogar besondere Treiber rechter Politik – wo sie doch vorgeben, genau dies nicht sein zu wollen. Verharmlosung durch andere steht wortlos ganz oben im AfD-Programm. Der Wunsch wird von Vielen mehr als erfüllt.

Vielleicht wäre es gut, sich intensiv die Worte von Dirk Neubauer durch den Kopf gehen zu lassen. Der Mann aus Sachsen, 2017 in die SPD ein-, bald wieder ausgetreten, Ex-Bürgermeister von Augustusburg, dann Landrat, unter anderem wegen zunehmenden Bedrohungen zurückgetreten, Bestsellerautor („Rettet die Demokratie. Eine überfällig Streitschrift“, Rowohlt, 2021), auf „Facebook“: „Ich als Ostdeutscher habe den Hype um die Ostseelenstreichelei von Juli Zeh nie verstanden. Für mich war das nie mehr als Selbstmarketing zwischen Buchdeckeln. Viel Verständnis. Viel Rechtfertigung. Selten bis nie echte Antworten. Hübsche Sprachbilder vom Dorf. Die „die da unten“ schonten und Verantwortung in eine andere Welt verbannten. Das Volk klatschte und las sich die Seele sauber.“ Wer hier Unzufriedenheit verniedliche und „naziwählende Menschen in Schutz nimmt, der glaubt auch, dass Hitler 60 Millionen Menschen alleine tötete. Und alle anderen 1945 befreit wurden.“

Hinterlasse einen Kommentar