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Juli Zeh Fankurve

Über das, was Juli Zeh im „taz“-Interview von sich gegeben hat, haben sich viele echauffiert. Auch ich. Manche haben dies social-media-like in einem Ton getan, der der Debatte nicht dienlich ist. Etliche freilich in einem Ton, der zwar scharf ist, aber die Debatte ernsthaft befeuern sollte. In Artikeln, gleich zwei im „Freitag“, wird, wie zu erwarten, der Mantel rechtschaffener Beobachtung der politischen Lage über der Autorin ausgebreitet. Nur eine Frage wird nicht beantwortet: Wenn denn die Ängste und der Unmut der Menschen gegenüber den so genannten etablierten Parteien berechtigt sind – und das ist so! Warum münden die Ressentiments in 40 Prozent Zuspruch für die AfD und nicht in 40 Prozent Zuspruch für Die Linke? Die den Ärger der Menschen über die Politik teilt, ihn nur nicht dafür nimmt, zweifelhaften Honig daraus zu saugen. Unter anderem den der Fremdenfeindlichkeit.

Ich weiß nicht, welche Geistesbinden Frau Koester trägt, wenn sie im „Freitag“ schreibt: „Nein, es sind nicht 40 Prozent der Bevölkerung im Nordosten Deutschlands Nazis, nicht einmal überzeugte Rechte, und manche davon sind vermutlich nicht einmal besonders konservativ“. Statt die Menschen quasi bei der Gesinnung zu packen, sollte man lieber den Kopf freimachen für „die Dynamik“, die Juli Zeh beobachtet habe. Und erkennen, dass die AfD angesichts der „Gleichgültigkeit“ der etablierten Parteien, einfach „nur normal“ geworden sei. Statt abzuschrecken. Und als Gefahr erkannt zu werden. Dass genau diese affenzahnartige Normalisierung, die sich in rasantem Tempo in Ostdeutschland vollzieht, ein Hinweis darauf sein könnte, wie normal es dort mittlerweile geworden ist, nichts lieber als rechts zu sein—-oh, nein, soweit will die Zeh-Fankurve nicht gehen.

Else Koester fragt, wie es den komme, wenn Soziopolitologen von „Zerstörungswut“ sprächen und von „faschistischen Fantasien“, und wie das komme, wenn „so viele AfD-Wähler“ den Hass auf vieles „gar nicht teilen“? „Viele Menschen haben keinen Hass, aber wählen die AfD“, so Koester. „AfD wählen, das heißt nicht nur: Da seht ihr es mal, jetzt wähle ich eben AfD. AfD wählen, das heißt: Na los, dann mach halt, AfD. AfD wählen, das heißt auch: Na los, AfD, dann mach halt kaputt.“ Liebe Leser, spüren Sie auch, was das für ein journalistisches Durcheinander ist, das sich da ausbreitet? Ich fasse nochmal zusammen: 40 Prozent sind keine Nazis, nichtmal überzeugte Rechte, manche womöglich nichtmal konservativ. Aber sie entwickeln Zerstörungswut. Weswegen sie die AfD wählen und die Rechten auffordern, kaputt zu machen, was stört. Vielleicht auch inklusive Migranten?

Sorry, aber das ist doch unglaublich! Die Sozialpolitik, Militarisierung, Energiekrise, Algorithmen, Blasenbildung – über all das herrsche Unmut. Und von dem habe die AfD profitiert. Soweit richtig. Dann aber kommt es: Christian Drosten (Corona), Greta Thunberg (Klimakrise), sie seien angeschrien worden für ihre Haltung. Der Erste, weil er der Virus-Verharmlosung widersprach. Die Zweite, weil sie der Verharmlosung der Klimakrise entgegenwirkt(e). Und nun werde auch Juli Zeh angeschrien. Weil sie sage, dass der Zaun gegen rechts nichts gebracht habe. Alles rein in den Topf der Dynamikerkundung. Aber Dynamik beschreibt nicht Inhalt. Der Zaun gegen rechts ist ja nicht nur ein Zaun. Er wird auch argumentativ gestützt. Dass er bislang nicht half, ist nicht Hinweis auf seine Schwäche, sondern auf die Zugkraft der AfD. Die hat sie nicht wegen, sondern trotz des Zauns. Und warum?

Diese Mär von der Märtyrer-Kraft der AfD – wer sie und ihre Anhänger in die Ecke schiebt, macht sie noch stärker – wird immer wieder aus dem Lager der Verharmloser bemüht. Am Ende biegt Koester in die Straße der Ratlosigkeit ein. Wie angeblich Juli Zeh. Ich fürchte, es ist keine Durchfahrtstraße, sondern eine Sackgasse. Die, wenn schon, dann ebenfalls nicht mehr wert ist als der Zaun, von dessen Unvermögen die Rede ist. Also zucken wir eben alle mit den Schultern. Und lassen die Dörfer die AfD wählen. Nehmen die Menschen, die die rechtsextreme Partei auf Vordermann lotsen, in Schutz. Erkunden nicht, ob es da noch was Anderes gibt, als bloß Unmut über die etablierten Parteien. Weil wir Angst haben vor der Schlimmsten aller Erkenntnisse: Dass wir schon wieder rechte Geschichte schreiben? Und dass, wer hier wen in Verantwortung nimmt, auch irgendwie autoritär sei? Uaahh.

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